AUSZUG AUS DEM E-bOOK
"SIE SIND UNTER UNS"
von JOANA ANGELIDES
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Die Ampel stand auf
Rot, es regnete in Strömen. Der Radiosprecher sprach vom Wetter, als würde es
ihn in Wirklichkeit gar nicht interessieren.
Sie interessierte das
Wetter von morgen auch nicht mehr. Sie wird heute in den Fluss eintauchen und
sich den Fluten ergeben, den Tod suchen.
Paul war nicht mehr,
das Leben ohne ihn war triste und grau, freudlos die Abende und bedrückend die
schlaflosen Nächte.
Ihre täglichen Besuche an seinem Grab brachten keine
Erleichterung, im Gegenteil, sie erzeugten Sehnsucht. Sehnsucht bei ihm zu
sein, diese Welt der endlosen Finsternis mit ihm zu teilen.
Der schwarze Ford
hinter ihr sah irgendwie bedrohlich aus. Es war nicht alleine die Farbe, auch
der Fahrer erschien ihr irgendwie unheimlich. Sie konnte sein Gesicht zwar nicht sehen, da sich
die Straßenbeleuchtung in der Scheibe spiegelte, aber der tief ins Gesicht
gezogene Hut vervollständigte den
unheimlichen Eindruck.
Nach der Brücke wird
sie links abbiegen und der Ford wird
weiter fahren.
Endlich sprang die
Ampel auf Grün und sie fuhr über die Brücke, der Ford klebte an ihrer
Stoßstange.
Als sie, wie
beabsichtigt, links abbog und neben der
Brücke am Fluss anhielt, bog auch der unheimliche Wagen ab, blieb hinter ihr
stehen und die Scheinwerfer erlöschten.
Es schien, dass er
wartete.
Worauf?
Es war ihr egal, sie
öffnete die Wagentüre, ließ sie offen und schritt langsam zum Ufer des Flusses
und starrte ins Leere.
Sie stand im Regen und spürte ihn nicht. Es regnete
seit Tagen, doch da es auch in ihrem Inneren grau und feucht war, ihre Tränen
nach innen flossen, war er nicht spürbar.
Die Stadt flimmerte
an der gegenüberliegenden Seite des Flusses, die Lichter tanzten unruhig auf
und nieder am vorbei strömenden Wasser. Die Strömung war träge, wie es eben
bei so großen Flüssen immer ist. Die
Geräusche kamen nur gedämpft herüber, verloren sich in der Weite des Flussbettes.
Niemand hört die
leisen Schreie der zum Leben
verurteilten.
Es gibt Nächte wie
schwarzes Glas, sie lassen die seltenen Nächte aus dunkel blauem Samt
vergessen, diese sind Vergangenheit.
Die Sehnsucht, sich Umarmen zu lassen erreichte
ihren Höhepunkt.
Es wäre Erlösung für
sie, sich von den Wellen empfangen, umschließen zu lassen vom schwarzen Glas
der Fluten. Sie hört die Rufe aus der Tiefe, es sind die Stimmen der
Sirenen, die flüstern und säuseln. Die Wellen erzeugen Bewegungen, Treppen
gleich, die abwärts führen. Sie war vor Tränen fast blind, sie will diese
imaginäre Treppe hinab gehen, sich
ziehen und locken lassen. Der Tod scheint sie mit ehernen Armen zu umklammern,
die Strudel werden sie hinab in die
Erlösung ziehen, sie spürt so etwas wie eine Erleichterung.
„Nein, tun sie es
nicht!“ Seine dunkle Gestalt steht
plötzlich genau hinter ihr, sie haben fast Körperkontakt.
Was war das für eine
Stimme? Dunkel und hohl klingend, energisch und fordernd.
Sie hält den Atem an
und zieht die Schultern hoch. Ihr Körper
wird steif und die Kälte kriecht von den Beinen langsam zu ihrem Herzen, in die
Arme und die Fingerspitzen.
„Lassen sie mich in
Ruhe!“ Schreit sie fast.
„Das, was sie
vorhaben, ist einfach keine Lösung für ihr Problem. der Schmerz und die Trauer
werden zwar von einem Moment auf den Anderen verschwinden, sie werden aber dann
gar nichts mehr fühlen. Kommen sie mit mir, ich eröffne ihnen eine Welt des
ewigen Schmerzes, der Finsternis, aber des Genusses. Jahrhunderte werden
vergehen in körperlosem Schweben, Suchen und Finden!“
Sie hörte seine Worte,
verstand aber die Bedeutung in keiner Weise.
War dies der Tod? War
dies der Eintritt ins Jenseits, von dem sie sich eigentlich ein Ende der Einsamkeit
und Trauer, ein Ende allen Schmerzes und Fühlens erwartete?
Sie drehte sich
langsam um und erschauerte. Sein Gesicht unter dem großen schwarzen Hut wirkte
bleich und knochig. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, schwarz und nicht
erkennbarer Iris.
Soll sie sich in
seine Arme begeben, ihm ihr Leben und ihre Seele übergeben und endlich frei
sein von der Last des Lebens?
Fragen über Fragen
stürmten über sie herein und sie fand keine Antwort.
Er hob einen Arm und
es tat sich ein schwarzer Umhang auf, innen rot gefüttert und knisternd.
Er legte seinen Arm
um ihre Schultern und zog sie zu sich
heran.
Ihr Gesicht hob sich
empor, es war tränenüberströmt, die Lippen halb geöffnet und die Augen weit
aufgerissen.
Er hielt sie fest,
ließ ihr keine Möglichkeit auszuweichen. Ihre beiden Körper waren eng
aneinander gepresst, er spürte ihren Körper, der voller Leben war, roch ihren
Duft und ihre Angst und das machte sie begehrenswert für ihn.
Er wollte sie haben,
sie mit sich nehmen in seine Welt, Jahrhunderte lang!
Sie erschrak, was
machte sie da, wieso ließ sie sich von diesem fremden Mann umarmen, als wären
sie ein Liebespaar?
Seine Umarmung
löste Erinnerung an Vergangenes aus, an
Umarmungen und Berührungen. Längst vergessene Träume.
Nur einen Moment sich
fallen lassen, diese Umarmung umzusetzen in Sehnsüchte und Träume, das wollte
sie für einen Augenblick genießen.
Er spürte, wie sie
sich entspannte, ja sich fast fallen ließ und wenn er sie nicht so fest
gehalten hätte, wäre sie vielleicht zu Boden geglitten.
„Paul, bist du das?“
Sie flüsterte es fast.
„Ja, ich bin der, der
du willst, dass ich bin“, er senkte
seine Stimme und flüsterte es ihr
ins Ohr.
Für sie war es der
scheinbare Übergang vom Leben in den Tod, sie glitt einfach in eine andere
Ebene und ergab sich.
Sein Mund strich
langsam vom Ohr über ihre Wange zum Hals. Dort, wo er die Schlagader spürte,
die pochte und das Blut pulsierend durchjagte. Ihr Herz klopfte wie der Hammer
am Ambos.
Sie spürte das
Eintauchen seiner Zähne kaum, sie standen minutenlang still und sie genoss, wie
der Saft des Lebens aus ihr heraus rann, wie er es gierig aufsaugte und dabei
mit einem Arm auf ihrem Rücken auf und ab glitt. Sie spürte eine Erregung
aufsteigen, die ihr fremd war. Wild und
schrill, im Inneren schreiend und ihren ganzen Körper erfassend. Der Körper
glühte und sie stand in Flammen, ohne wirklich zu verbrennen.
Ihr Körper wurde
leicht und aller Schmerz und auch Trauer verschwanden plötzlich.
Sie hatte den
Eindruck, dass sie sich beide erhoben, über den dunklen Fluss glitten, alles
unter sich lassend.
Plötzlich war alles
bedeutungslos, die dunklen, über den Himmel jagenden Wolken wurden zu
wohlbekannten Gebilden. Sie hörte viele Stimmen, die sie vorher nie hörte. Es
war Heulen und Raunen in der Luft, Sie sah tief unter sich glühende tiefe
Schächte, Körper die sich winden, andere die vorbei flogen. In der Ferne war
das Krächzen von Raben zu hören.
Die Dunkelheit umfing
sie, sie wollte nie wieder die Sonne sehen, wollte sich in der Dunkelheit verkriechen.
War das der Tod, oder
nur die Vorstufe zur Unterwelt? Wo war der Fluss?
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