Gefangen für alle Ewigkeit.
von JOANA ANGELIDES
Seit ich in dem Seminar-Hotel, das eigentlich ein umgebautes altes
Schloss ist, eingecheckt habe wandle ich auf
einer Wolke, alles rundum dringt nur gedämpft und unwirklich zu mir
durch.
Und ich sehe Augen! Ein
wundervolles dunkles Augenpaar, tief und unergründlich, spöttisch und
fragend. Sie liegen in einem ovalen Gesicht, wie aus Elfenbein geschnitzt,
umrahmt von dunklem Haar und einer strahlenden Aura, die scheinbar nur ich
sehen kann.
Das Bild hängt in der ersten Etage
des alten Schlosses. Es ist das Portrait einer jungen, stolz und
unnahbar wirkenden Frau. Ja, wenn da nicht dieses spöttische Blinken wäre.
Egal, wo ich mich in dieser Etage befinde, ihre Augen verfolgen mich,
es ist mir unmöglich ihnen zu entkommen. Immer, wenn ich die Türe meines
Zimmers öffne, fällt mein Blick zu ihr
hin und sie begegnen sich. Wenn ich die Treppe heraufkomme, so liegt dieser
Blick auf mir und je höher ich die
Treppe hinaufsteige, umso spöttischer wird er.
Es ist das einzige Bild, das nur eine Person darstellt. Auf allen
anderen Gemälden sind zwei oder drei Menschen dargestellt. Immer eine Person im
Mittelpunkt sitzend und eine oder zwei Personen im Hintergrund, als wären sie
Staffage. Es ist mir nicht gleich aufgefallen, sondern erst heute, seit jenem seltsamen abendlichem
Ereignis............
Um vom Treppenaufgang in mein
Zimmer zu gelangen, muss ich an dem Bild der geheimnisvollen Dame vorbei und
merke jedes Mal, wie sich Schweißperlen auf meiner Stirne bilden. Das breite,
von Schulter zu Schulter reichende, nicht sehr tiefe Dekollete hebt und senkt
sich, als würde sie atmen. Selbst das kleine runde Medaillon, das sie um den
Hals trägt, spiegelt sich im
einfallenden Licht. Wenn das hohe
Fenster an der schmalen Seite des Ganges offen steht, so merke ich, dass sich
die feinen Härchen am Haaransatz dieser geheimnisvollen Frau wie durch einen
leichten Luftzug bewegen und sich
widerborstig dem Zwang einer Frisur verwehren zu scheinen.
Der weiße, aufgestellte Spitzenkragen des weinroten Samtoberteiles
fängt einige Haarlocken, die sich rückwärts gelöst haben, auf. Das Bild scheint
zu leben.
Es ist sowieso bemerkenswert, dass die Bilder in dieser scheinbaren Ahnengalerie
sehr lebendig wirken. Sie sind alle in der gleichen Art gemalt, doch meist sind
sie, wie bereits erwähnt, paarweise
abgebildet, entweder steht der männliche Part hinter der Dame, oder er sitzt in
einem aufwendigen Stuhl und zu seinen Füßen hingegossen ein Frauenkörper.
„Anne de Bouvier,
1722-1750“ steht auf dem Schild
meiner einsamen Schönheit, das am unteren Rand des dunkel vergoldeten Rahmens
angebracht ist. Sie ist also nicht sehr alt geworden, gerade 28 Jahre alt.
Ich ertappte mich, auch während des Seminars an sie zu denken und daher manche Passage des Vortragenden zu
versäumen. Ich mache mir dementsprechende Notizen, um es nachträglich
nachzulesen.
Das Abendessen verläuft quälend für mich. Ich beantworte Fragen der
anderen Teilnehmer, nehme an belanglosen Debatten teil und die erste
Gelegenheit wahr, mich zu verabschieden, um auf mein Zimmer zu gehen.
Schon bei Tage wirkt das Schloss unheimlich, düster und auch
geheimnisvoll. Die breite Treppe, vom
unteren Absatz aus gesehen, macht einen bedrohlichen Eindruck auf mich.
Ich versuche, diese Eindrücke zu relativieren, mir einzureden, dass es
eben ein altes Gebäude ist und ich ein ängstlicher Typ.
Ich gebe mir einen Ruck und versuche unbekümmert die Treppe hinauf zu
laufen, um in mein Zimmer zu kommen. In Wirklichkeit klopft mein Herz wie wild
und ich will eigentlich gar nicht auf mein Zimmer, sondern es zieht mich zu dem
Bild.
Ich spüre den auf mich gerichteten Blick schon in der Mitte der Treppe. Sie erwartet mich.
Unverständlicher Weise ist es für mich nicht verwunderlich; ich laufe
hinauf und bleibe vor dem Bild stehen.
„Hier bin ich“, flüstere ich.
Sie lächelt, als hätte sie mich
erwartet.
„Endlich“, haucht sie kaum verständlich
Die Iris in den dunklen Augen wird größer, als würde sie in die Tiefe
meiner Seele blicken und dort nur Dunkelheit sehen.
Es erschreckt mich, ich drehe mich um,
laufe gehetzt in mein Zimmer und schließe die Türe hinter mir. Mein Atem
fliegt, ich bekomme keine Luft, mein
Herz rast. Ich lehne an der Innenseite
der Türe und drehe mit zitternder Hand
den Schlüssel im Türschloss um.
Es ist doch nur ein Bild, versuche ich mir einzureden.
Mit bleischweren Beinen durchquere ich den Raum und öffne die Türe zum
Balkon. Kühle Nachtluft strömt herein, die Stimmen und das Lachen der Seminarteilnehmer sind von unten herauf
zu hören und die Welt scheint wieder in Ordnung zu sein.
Wie konnte ich nur so in Panik geraten, so meine Beherrschung
verlieren!
Das Badezimmer erfüllt alle Wünsche, die man an ein Fünfsternhotel richten kann. Durch die Betätigung des
Lichtschalters erklingt leise Musik. Sie wirkt beruhigend auf mich.
Das warme Wasser tut sein Übriges und ich beginne mich auf das Bett und
das mitgebrachte Buch zu freuen. Nach einigen Seiten der sehr interessanten
Lektüre passiert das Unerwartete.
Die Glühlampe in der Nachttischleuchte explodiert mit einem lauten
Knall und in der Folge der grüne Lampenschirm ebenfalls. Ich fahre erschrocken
hoch und spüre gleichzeitig feine Glassplitter auf meinem Hals und auf den
Händen.
Kleine Blutstropfen suchen ihren Weg zwischen dem Mittel- und dem
Zeigefinger. Ich schaue entsetzt darauf.
Dann explodieren nacheinander alle Glühlampen im Raum, auch diejenigen,
die nicht brannten.
Die Angst ist greifbar für mich. Sie beginnt in den Fingerspitzen und
kriecht langsam die Arme hoch, bis sie mein Herz erreicht und es erfrieren lässt.
Alles Blut hat sich im Kopf gesammelt und pocht gegen die Schläfen und
meine Augen verlassen die Höhlen. Ich will schreien, meine Angst artikulieren.
Doch es kommt kein Ton aus meinem Mund.
Aus den Augenwinkeln sehe ich vorerst nur leichtes Flimmern, dass durch die
geschlossene Türe herein sickert. Langsam, im Zeitlupentempo drehe ich den
Kopf und starre darauf. Es verdichtet
sich, wird heller und mit dem intensiveren Licht schwebt gleichzeitig der
Körper einer Frau durch die Türe, eine Frau mit einem weinroten Samtkleid mit
weißem Kragen und einem Medaillon um den Hals. Es war die Frau aus dem
Bilderrahmen.
Mein Mund ist offen und trocken und ich kann noch immer nicht atmen. Es
muss daran liegen, dass mein Körper zu einem Block aus Eis und Kristallen
mutiert ist.
Sie steht vor mir und streckt ihren Arm nach meiner verletzten Hand
aus. Sie zieht sie zum Mund und beginnt das nach unten laufende Blut gierig
abzulecken.
Ihre Zunge ist rau und ebenso kalt wie mein Körper.
Mit gierigen Fingern beginnt sie nun meinen Pyjama aufzuknöpfen und
ihre vollen Lippen suchen jeden
Blutstropfen auf der verletzten Haut.
Je näher ihr Körper kommt, desto
kälter wird es um mich herum. Dieser
Körper ist es, der die Eiseskälte verströmt und sich mit den Eiskristallen in
meinem Inneren vereint.
Von der Mitte ihres Körpers aus, beginnt sich plötzlich ihre Kleidung
einfach aufzulösen, man kann durch ihre Körpermitte hindurch sehen. Sie scheint körperlos zu sein, verschwindet
einfach vor meinen Augen mit einem wilden Schrei. Zurück bleibt lediglich ein
weißes, dünnes Tuch am Boden neben meinem Bett.
Ich sollte eigentlich schreien, Hilfe holen. Doch leider kann ich mich
nicht bewegen. Es liegt wahrscheinlich daran, dass ich noch immer zu einem Eisblock erstarrt
bin.
Der einzige Ton, der aus meiner Kehle kommt, ist ein heiseres Krächzen.
Ich habe den Eindruck, dass auch dieses Krächzen gefroren ist und klirrend zu Boden
fällt.
Aus dem Boden neben meinem Bett schießt plötzlich ihre Gestalt wieder
empor und richtet sich bedrohlich über mir auf.
„Bemühe dich nicht, du stehst auf der Schwelle in meine Welt!“
Ihr Mund ist zu einem teuflischen Grinsen verzogen, die scharfen
Eckzähne leuchten weiß und spitz hervor und
senken sich langsam über mich.
Wieder trifft mich dieser eiskalte Hauch, meine Angst wird unerträglich
und meine Augen starren verzweifelt in dieses total verzerrte Gesicht. Ich kann
mich noch immer nicht rühren und muss in dieser Erstarrung mit ansehen, wie
sich dieser grausame Mund langsam auf meinen Hals senkt und mit einem
knirschenden Geräusch in meine Halsschlagader eindringt.
Dieses weibliche Ungeheuer beginnt mich gierig auszusaugen, meinen
Lebenssaft aufzunehmen. Da offenbar auch mein Blut zu Eiskristallen erstarrt
ist, verlässt es mich nur zögernd und zäh. Ich spüre wie sich in mir eine
gähnende Leere ausbreitet. Gleichzeitig fühle ich eine unglaubliche
Leichtigkeit, sehe Schatten um mich herum sich bewegen, die vorher nicht da
waren.
Ihre Hände umfassen meine Schultern und ziehen meinen Körper langsam in die Höhe. Er ist nur mehr eine
leblose Hülle, blutleer, seelenlos und federleicht. Das, was von mir in dieser
Welt bleibt sind meine Kleider, meine
persönlichen Sachen im Hotelzimmer, naja
eigentlich mein ganzes bisheriges Leben.
Die Schatten um mich herum materialisieren sich, umhüllen meinen
Körper, geben ihm Konturen.
Wir durchdringen mühelos die schwere Eichentüre des Zimmers und treten
hinaus auf den Gang der ersten Etage.
Wir gleiten am Boden entlang und wie durch magnetische Kräfte werde ich
mit der vor mir schwebenden Gestalt unaufhaltsam in den nun leeren schweren
goldenen Bilderrahmen an der dunklen
Holztäfelung, gezogen.
Hier stehe ich nun hinter ihr, halb verdeckt, meine rechte Hand
liegt auf ihrer Schulter, als wäre das
selbstverständlich.
Wird je jemand versuchen zu ergründen, wohin einzelne Hotelgäste so
plötzlich verschwinden?
Bin gefangen in einem Bild für die Ewigkeit, oder bis wieder jemand
vorbeikommt, der mit seinen Augen haften bleibt an einem der Bilder, die wie
selbstverständlich in der Galerie des Schlosses hängen.
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