Begegnungen der Nacht
von Joana Angelides
Nun saß er schon die
dritte Nacht vor dem Computer und die wenigen Zeilen, die als Ausbeute da
standen, starrten ihn an.
Er kam einfach mit
seiner Geschichte nicht weiter. Die Geräusche welche tagsüber ablenkten hatte
er ausgeschaltet, indem er nachts schrieb; wobei auch die angenehme Kühle der
Nacht dazu verleitete, besonders in
diesen Tagen mit fast tropischen Temperaturen.
Doch die letzten
zwei Nächte waren angefüllt mit Raunen und Flüstern, mit
Geräuschen die von draußen in den Raum drangen. Manchmal schien es ihm, als
wären Menschen auf seiner Terrasse, so dass er nach draußen ging und lauschte.
Er hatte dann einen wunderbaren Überblick über die Lichter der Stadt und sah
die Kirchtürme schemenhaft in einiger
Entfernung in die Höhe ragen und den Himmel, der sie umgab in hellerem Licht.
Doch es war niemand zu sehen. Nur eine leichte, angenehme Brise berührte ihn und ließ sein Haar in die
Stirne fallen.
Nach einer Zigarette,
deren Stummel er dann in die Nacht schnippte, ging er wieder hinein und setzte
sich an den Schreibtisch. Er bog seinen
Kopf zurück und blickte an die Decke. Um seine Gedanken zu sammeln.
Der weiße dünne
Vorhang, der zur Hälfte die Türe bedeckte,
wurde plötzlich in den Raum geweht und eine leichte Brise von draußen
verfing sich in ihm. Der Stoff bauschte sich auf und legte sich über den
Bildschirm. Er griff danach und spürte zu seinem Erstaunen eine Hand die sich
um die seine legte und einen leichten Druck ausübte.
Er stand auf und ließ
sich von dieser Hand um den Schreibtisch herumführen und verfing sich in dem
Vorhang. Es war wie die Umarmung eines weichen
Körpers. Und es war ein weiblicher Körper, weich und anschmiegsam, angenehm
kühl in dieser heißen Sommernacht.
„Komm, tanze mit
mir!“ Raunte ihm eine kehlige, etwas rauhe Stimme ins Ohr. Sie ließ sich
umfassen und ihr schweres Parfum stieg in seine Nase und explodierte in seinem
Kopf. Er war wie benommen. Plötzlich erschien es ihm wunderbar, so schwerelos
durch die Türe hinaus in die dunkle Nacht zu gleiten. Ihr langes Haar flog ein
wenig durch die Drehung und verdeckte seine Augen.
Nun bemerkte er auch
die Anderen auf der Terrasse, sie lösten sich aus den Schatten beim
Abluftsystem, dem Abgang zur Treppe und
dem Liftschacht, sie bewegten sich im Mondlicht und wogten hin und her.
Also hatte er sich
doch nicht getäuscht, als er glaubte
Stimmen und Raunen von draußen gehört zu haben.
Noch immer hielt er
dieses leichte Geschöpf in seinen Armen, spürte den Druck ihres Körpers, sah in
tiefe grün schillernde, schwarz umrandete Augen, die voller Versprechen waren.
Ihre Lippen waren halb geöffnet und schienen wie
eine blutrote Rosenknospe im morgendlichen Sonnenlicht. Es schien als wären
sie glänzend, vom Tau des Morgens. Er
hatte nur den einen Wunsch, diese Lippen zu berühren, den Tau davon in sich
aufzunehmen. Als er ihren Atem spürte, war es bereits zu spät um noch
zurückzuweichen. Ihrer beiden Lippen berührten sich und er spürte, wie sich
alles um ihn drehte und er in einen tiefen Tunnel fiel, der sich spiralförmig
nach unten bewegte und um ihn herum drehten sich Wirbel aus weißen Schleiern, und ein tosender Wasserfall,
blutrot gefärbt, umgab ihn.
Sie löste sich von
seinem Mund und grub ihre Lippen in seinen Hals. Das Versenken ihrer Zähne
darin empfand er als einen lustvollen Schmerz, der nach dem ersten
Aufbäumen zu totaler Ermattung führte. Er glaubte mit ihr ein Körper zu sein,
aufgehend in ihr, unlösbar verbunden. Um sie beide herum tanzten inzwischen weiterhin diese
seltsamen, dunklen Gestalten und es schien ihm Totentanz und Hochzeitstanz
zugleich zu sein.
Wie lange diese, die
Sinne erregende Begegnung nun gedauert
hatte war im Nachhinein nicht mehr feststellbar. Doch als er erwachte, lag er
am Boden der Terrasse, die zu seinem Atelier führte. Die hinter den Dächern
zaghaft aufgehende Sonne mit ihren wärmenden Strahlen hatte ihn geweckt und tat
in seinen Augen weh. Er stand völlig benommen auf und taumelte mehr als er ging
wieder in sein Atelier zurück. Er war völlig erschöpft, er wollte nur schlafen
und zog die Vorhänge zu.
Er verfiel in einen tiefen Schlaf, der den ganzen Tag
über dauerte. In seinen Träumen kamen schemenhaft dunkle Gestalten vor, die um
ihn tanzten, ihn berührten. Immer, wenn er glaubte in den Armen einer der
weiblichen Gestalten zu liegen, verspürte er ein ziehendes, angenehmes Gefühl
in seinem Innersten.
Nach dem Untergang der Sonne öffnete er die Türe zur
Terrasse und atmete tief die kühlere Nachtluft ein und trat erwartungsvoll
hinaus. Es hatte sich nichts verändert. Hatte er nur geträumt? Wo waren die
Gestalten geblieben, die aus dem Schatten hervortraten, die um ihn tanzten, wo
war dieser wunderbare weiche weibliche
Körper der sich an ihn schmiegte? Seine Finger berührten seinen Hals und er
verspürte dort verwundert einen kleinen Schmerz.
Enttäuscht ging er
wieder hinein und setzte sich an den Schreibtisch um seine Arbeit fortzusetzen.
Und plötzlich flogen seine Finger über die Tasten, das Geschriebene nahm
Gestalt an und mühelos konnte er alle seine Gedanken zu Papier bringen.
Sein Inneres war
plötzlich reich und weit, aufnahmefähig, verständnisvoll und ausdrucksstark.
Er wußte nicht, wie
lange er wie in Trance geschrieben
hatte, als er aufhorchte.
Die Nacht war schon
fortgeschritten und der Mond stand klar und deutlich am Himmel.
Da waren sie wieder,
diese Geräusche, dieses Wispern, diese heimlichen Bewegungen auf der Terrasse.
Er stand auf und ging hinaus.
Sie umfingen
ihn wieder, diese Schleier, diese Gestalten, diese Berührungen, wie eine
Brise des Windes. Er reihte sich ein in ihren Kreis, fühlte sich leicht und
unbeschwert.
Befand er sich gerade
eben auf einem der anderen Dächer? Oder flog er dem Mond entgegen?
War er schwerelos?
All diese Fragen
schwirrten durch seinen Kopf und er ließ sich vom Licht des Mondes und seinen Gefühlen und Empfindungen hinauftragen
in den dunklen Himmel.
Am Morgen fand er
sich, wieder liegend auf der Terrasse, völlig ermattet aber glücklich.
Sollte dies nun seine
Bestimmung sein, zwischen Traum und Wirklichkeit, Tag und Nacht, in aller Ewigkeit die Welten zu wechseln?
AUSZUG AUS DEM E-BOOK
"SIE SIND UNTER UNS"
von JOANA ANGELIDES
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