Drehtüre in die
Vergangenheit
von Joana Angelides
Nachdem Albert Gabini das Hotel durch die breite Drehtüre betreten hatte,
saß er nun in der Hotellounge in einer der Fauteuile und betrachtete die sich ihm
darbietende Geschäftigkeit und die sich rundum bewegenden Personen. Die
Geschäftigkeit in der Hotellounge erstaunte ihn. Irgendwas war anders, als in
den vergangenen Tagen. Er konnte das beurteilen, denn er las jeden Abend noch
in den herumliegenden Zeitungen, bevor er sich in seine Suite begab.
Nachträglich schien es ihm, als wäre die Drehtüre heute schlecht
eingestellt, denn er wurde zweimal hindurch geleitet. Es war wie ein großer
Schwung, der ihn hineinführte, wieder hinaus und dann gleich wieder hinein.
Er fand außerdem, dass sich ungewöhnlich viele Personen in der Halle und auf
der Treppe befanden.
Manche der Personen gingen aneinander vorbei, als würden sie sich nicht
sehen, andere wieder grüßten sich, blieben stehen und sprachen sogar miteinander.
Irgendwie paßten einige nicht herein; sie waren in einer Art gekleidet, die
ihn an frühere Zeiten erinnerten, die er nur von Bildern oder alten Filmen
kannte.
Teilweise schienen sich einige Gäste langsamer, wie zeitverzögert zu
bewegen. Oder doch nicht? Dies betraf vor allem jene Gäste und auch das
Personal, welche so anders gekleidet waren.
Es mußte an der Hitze liegen die seit einigen Tagen die Stadt lähmte, dass
er solche Eindrücke hatte, anders war das nicht zu erklären.
Durch die Drehtüre, die dauernd in Bewegung war, trat nun eine Dame, eine
junge sehr elegante Dame ein, gefolgt von einem Mann im Chauffeur-Livree, der
vier Koffer schleppte. Zwei kleinere hatte er unter den Armen eingeklemmt und
zwei große schob er vor sich hin.
Die junge Frau würdigte ihm keines Blickes, sondern ging langsam und sich
ihrer Wirkung bewußt auf die Rezeption zu.
Sie war groß gewachsen, hatte ein knöchellanges, enges Kleid an, dass vorne
etwas kürzer war und ihre schlanken Beine ahnen ließ. Ein langer Pelzschal war
um ihren Hals geschlungen und hing ihr rückwärts bis zur Kniekehle hinab.
Sie trug eine enge Kappe, glitzernd und funkelnd mit einer schräg
angebrachten Feder, in der Hand einen langen Zigarettenspitz aus Jade. Sie
wirkte wie aus einem Film über den Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts.
Er sah sich um, vielleicht wurde auch wirklich hier ein Film über diese Zeit
gedreht, das würde diese seltsamen Kostümierungen erklären.
Es bewegten sich zwei Hotelpagen in der Mitte der Halle. Er bemerkte, wie
einer der beiden sofort mit seinem Kofferwagen zu dem Mann mit den vielen
Gepäckstücken eilte, der andere schien ihn gar nicht zu bemerken, ja er blickte
einfach durch ihn hindurch.
Die junge Dame war inzwischen an der Rezeption angelangt und schlug mit der
Hand auf die Klingel. Einige der Gäste, aber ausschließlich jene die ein wenig
nostalgisch gekleidet waren, drehten sich um, die anderen wieder beachteten sie
gar nicht, als würden sie sie nicht einmal sehen.
Es schienen sich zwei verschiedene Ebenen gleichzeitig in einem Raum zu
bewegen. Es war unfaßbar!
In der Rezeption waren zwei Angestellte tätig. Der eine war ein etwas
älterer Mann, der Portier, mit einem Schnurrbart und enger gestreifter Weise,
der andere war ein junger Mann, etwas salopper gekleidet, mit offenem Hemdkragen,
Schal und schwarzer Weste.
Zu seiner Überraschung beachtete der jüngere Angestellte die wirklich sehr
attraktive junge Dame gar nicht und beschäftigte sich weiter mit dem Einordnen
von Briefen in die Fächer der Gäste. Der Ältere jedoch begrüßte die junge Dame
überschwenglich, als würde er sie schon lange kennen.
Der Chauffeur stellte die Koffer nun ab und bedankte sich bei dem Pagen und
er konnte sehen, wie er ihm einen Geldschein gab. Dann drehte sich der
Chauffeur um und ging durch die Drehtüre nach draußen.
Albert stand sofort auf und ging ebenfalls durch die Drehtüre nach draußen,
um zu sehen, welchen Wagen er fuhr.
Die Hitze schlug ihm entgegen, es flimmerte die Luft. Der Chauffeur war
nirgendwo zu sehen. Er schloß für einen Moment die Augen und beschloß, wieder
in das Hotel zurück zu gehen. Er konnte auch keinen Wagen sehen, der wegfuhr,
oder sich am Parkplatz einparkte. Er schüttelte den Kopf und verstand gar
nichts mehr.
Als er durch die Drehtüre wieder die Hotelhalle betrat, blieb er verwundert
stehen.
Es waren nun nicht mehr so viele Gäste da, auch der zweite Page war
verschwunden und der junge Rezeptionist war auch nicht zu sehen.
Vielleicht träumte er auch nur? Doch auch nach einigen Augenblicken und
zweimaligem tief Einatmen, war die Situation unverändert.
Die Gäste unterhielten sich und bewegten sich wie vorher, bedächtig und
langsam, doch sie waren nun alle in dieser nostalgischen Mode gekleidet, die er
schon vorher registriert hatte. Die anderen Gäste waren nicht zu sehen.
"Gehen sie mit mir auf einen Drink in die Bar?" Sie stand vor ihm,
jung und elegant, wie sie ihn bereits vorher beeindruckt hatte Sie hatte wieder
diesen langen Zigarettenspitz aus Jade in der Hand, hielt ihn mit ihren weißen
kräftigen Zähnen fest und lächelte. Sie hatte grüne Augen und erinnerte an eine
Tigerin.
"Ja, ich würde mich freuen!" Sagte er das wirklich?
Sie hakte sich unter und sie gingen in die kleine Bar links neben der
Rezeption.
Sie schwang sich auf den Barhocker und dabei rutschte ihr enges Kleid ziemlich
weit nach oben und ihre Beine schienen überhaupt nicht enden zu wollen.
War es hier immer so heiß?
"Wir möchten zwei Gläser Champagner, Kellner!" Ihre Stimme war
etwas schrill und eine Spur zu laut.
"Monsieur Alfredo hat schon nach Ihnen gefragt, Mademoiselle!" Der
Kellner hatte einen tiefen warnenden Ton in der Stimme. Oder täuschte er sich
da?
"Achja? Ich bin eben erst gekommen. Nun habe ich aber keine Zeit, habe
einen Freund getroffen, sehen sie das nicht?"
Der Kellner zuckte mit der Achsel und wendete sich seinen Gläsern zu. Er
konnte bemerken, wie ihm der Kellner einen Blick aus den Augenwinkeln schenkte
und seine linke Augenbraue leicht nach oben zog.
Die junge Dame hielt das Glas in ihrer Hand und schenkte ihm ein charmantes
Lächeln.
"Prost, mein Freund! Wie heißen sie eigentlich?"
"Mein Name ist Albert, Albert Gabini, auf Ihr Wohl", er verneigte
sich leicht und stieß mit ihr an.
"Michelle Rochas", sie neigte leicht den Kopf zu Seite und
schenkte ihm ein kleines Lächeln.
Sie setzten beide das Glas an die Lippen und er spürte das Kribbeln des
Champagners auf seiner Zunge.
In diesem Augenblick flog die Glastüre der Bar auf und es betraten drei
Männer den Raum.
Er wußte sofort, der Mann in der Mitte war Alfredo!
Sein weißer Anzug saß tadellos, sein Hut hatte eine etwas größere Krempe,
die tiefrote Blume an seinem Jacket hatte die selbe Farbe, wie sie die Lippen
von Michelle zeigten.
In der Hand trug er einen schwarzen Stock mit einem Silberknauf, den er
nervös drehte.
Seine Füße steckten in schwarzweiß gemusterten Schuhen und er wippte leicht
von vorne nach rückwärts.
Die beiden Männer hinter ihm blickten streng und wie es ihm schien, drohend
in seine Richtung und hatten jeweils beide Hände lässig in den Jackentaschen.
Es war wirklich heiß hier drin!
Michelle war von Barhocker gerutscht. In einer Hand hielt sie nach wie vor
das Glas, in der anderen Hand ihren Zigarettenspitz.
"Wer ist das?" Alfredos Stimme war leise und drohend und sein
Blick verhieß nichts Gutes.
"Ein sehr charmanter und lieber Freund!" Sie warf den Kopf nach
hinten und lachte laut.
"Ja, ist schon gut, du bist betrunken, wie immer! Verabschiede dich und
komm her!" Seine Stimme war nun lauter, herrischer und klang, als würde
sie keinen Widerspruch vertragen. Er schnippte mit den Fingern und drehte sich
halb um.
"Komm´ doch du her, ich stelle dich vor! Und außerdem will ich dir
sagen, dass ich keine Lust mehr habe, immer sofort zu kommen, nur, wenn du mit
den Fingern schnippst. Ich bin ja kein Schoßhündchen!"
Albert hielt die Luft an und seine Blicke gingen zwischen den beiden hin und
her. Es war eine ungeheure Spannung im Raum.
Er griff in seine Jackentasche auf der Suche nach dem Feuerzeug. Eine
Zigarette war im Moment das Einzige für ihn, um die Spannung abzubauen.
Er hat es nicht bemerkt, als gleichzeitig der Mann im weißen Anzug in die
Tasche seines Jackets griff und einfach durch den Stoff hindurch auf ihn schoß.
Doch Michelle hatte es bemerkt, vielleicht sogar erwartet. Sie warf sich
dazwischen und sank im nächsten Moment getroffen zu Boden.
Der Schuß war laut und sein Widerhall blieb sekundenlang im Raum.
Albert beugte sich über Michelle, schob seinen Arm unter ihren Rücken und
hielt ihren Kopf.
"Sie haben zu lange gezögert, sie hätten schneller schießen
müssen!" Flüsterte sie, bevor das Leben aus ihr entwich.
"Kellner, so holen sie doch die Polizei und einen Krankenwagen, sie
stirbt!"
Der Kellner beugte sich über die Theke und sah ihn fragend an.
"Was machen Sie denn da unten? Sind sie vom Barhocker gestürzt?"
Albert schaute erstaunt um sich und erhob sich. Er war der einzige Gast in
der Bar. Der Kellner war herbeigeeilt und stützte ihn besorgt.
"War ich nicht mit einer jungen Dame an der Bar, und waren da nicht
gerade noch drei Männer an der Türe?"
"Nein sie waren alleine, haben aber seltsamer Weise zwei Gläser
Champagner bestellt. Ich dachte sie erwarten jemand."
Der Gast legte eine Banknote auf die Theke und wandte sich der Türe der Bar
zu. Als er in die Hotelhalle hinaustrat bot sich ihm ein verändertes Bild dar.
Es war noch immer ein lebhaftes Treiben in der Halle. Doch die Leute von der
Filmgesellschaft waren scheinbar alle verschwunden.
Er trat an die Rezeption.
"Meinen Schlüssel bitte, Zimmer 332", bat er den jungen
Rezeptionisten, der ältere Portier war scheinbar auch nicht mehr da.
"Hier bitte! Ist ihnen nicht gut, sie sehen so blaß aus?"
"Ich war eben in der Bar, dort ist es ein wenig dunkel."
"Ach, in unserer Michelle-Bar!" Der junge Mann lächelte
geheimnisvoll.
"Michelle-Bar?" Seine Neugier war geweckt.
Es war wirklich heiß hier drin!
"Ja, so heißt sie", er senkte die Stimme zu leisem Flüstern,
"es wird erzählt, daß im Jahre 1923 in dieser Bar Michelle, die Frau des
damaligen Hotelbesitzers Monsieur Alfredo, erschossen wurde. Es wurde nie
eindeutig geklärt, wer sie erschoß. Man nahm an, es war ein Fremder, der in der
Bar war. Doch der Fremde konnte flüchten und wurde nie gefunden. Monsieur
Alfredo verkaufte in der Folge das Hotel. Er verschwand dann irgendwann und
wurde niemals wiedergesehen. Man sagt, Michelle spukt noch immer im Hotel, weil
ihr Tod nie gerächt wurde".
"Eine sehr interessante Geschichte!" Er nahm seinen Schlüssel und
begab sich zum Lift. Das Feuerzeug in seiner Tasche fühlte sich kalt und fremd
an.
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