Donnerstag, 2. November 2017

Gefangen für die Ewigkeit, mystisch



Gefangen für die Ewigkeit.
von Joana Angelides 


Bildergebnis für Frauenbildnis

Seit ich in dem Seminar-Hotel, das eigentlich ein umgebautes altes Schloss ist, eingecheckt habe wandle ich auf einer Wolke, alles rundum dringt nur gedämpft und unwirklich zu mir durch.
Und ich sehe Augen! Ein wundervolles dunkles Augenpaar, tief und unergründlich, spöttisch und fragend. Sie liegen in einem ovalen Gesicht, wie aus Elfenbein geschnitzt, umrahmt von dunklem Haar und einer strahlenden Aura, die scheinbar nur ich sehen kann.

Das Bild hängt in der ersten Etage des alten Schlosses. Es ist das Portrait einer jungen, stolz und unnahbar wirkenden Frau. Ja, wenn da nicht dieses spöttische Blinken wäre.

Egal, wo ich mich in dieser Etage befinde, ihre Augen verfolgen mich, es ist mir unmöglich ihnen zu entkommen. Immer, wenn ich die Türe meines Zimmers öffne, fällt mein Blick zu ihr hin und sie begegnen sich. Wenn ich die Treppe heraufkomme, so liegt dieser Blick auf mir und je höher ich die Treppe hinaufsteige, um so spöttischer wird er.

Es ist das einzige Bild, das nur eine Person darstellt. Auf allen anderen Gemälden sind zwei oder drei Menschen dargestellt. Immer eine Person im Mittelpunkt sitzend und eine oder zwei Personen im Hintergrund, als wären sie Staffage. Es ist mir nicht gleich aufgefallen, sondern erst heute, seit jenem seltsamen abendlichen Ereignis............

Um vom Treppenaufgang in mein Zimmer zu gelangen, muss ich an dem Bild der geheimnisvollen Dame vorbei und merke jedes Mal, wie sich Schweißperlen auf meiner Stirne bilden. Das breite, von Schulter zu Schulter reichende, nicht sehr tiefe Dekollete hebt und senkt sich, als würde sie atmen. Selbst das kleine runde Medaillon, das sie um den Hals trägt, spiegelt sich im einfallenden Licht.  Wenn das hohe Fenster an der schmalen Seite des Ganges offensteht, so merke ich, dass sich die feinen Härchen am Haaransatz dieser geheimnisvollen Frau wie durch einen leichten Luftzug bewegen und sich widerborstig dem Zwang einer Frisur verwehren zu scheinen.

Der weiße, aufgestellte Spitzenkragen des weinroten Samtoberteiles fängt einige Haarlocken, die sich rückwärts gelöst haben, auf. Das Bild scheint zu leben.
Es ist sowieso bemerkenswert, dass die Bilder in dieser scheinbaren Ahnengalerie sehr lebendig wirken. Sie sind alle in der gleichen Art gemalt, doch meist sind sie, wie bereits erwähnt, paarweise abgebildet, entweder steht der männliche Part hinter der Dame, oder er sitzt in einem aufwendigen Stuhl und zu seinen Füßen hingegossen ein Frauenkörper.

„Anne de Bouvier,  1722-1750“ steht auf dem Schild meiner einsamen Schönheit, das am unteren Rand des dunkel vergoldeten Rahmens angebracht ist. Sie ist also nicht sehr alt geworden, gerade 28 Jahre alt.

Ich ertappte mich, auch während des Seminars an sie zu denken und daher manche Passage des Vortragenden zu versäumen. Ich mache mir dementsprechende Notizen, um es nachträglich nachzulesen.

Das Abendessen verläuft quälend für mich. Ich beantworte Fragen der anderen Teilnehmer, nehme an belanglosen Debatten teil und die erste Gelegenheit wahr, mich zu verabschieden, um auf mein Zimmer zu gehen.

Schon bei Tage wirkt das Schloss unheimlich, düster und auch geheimnisvoll. Die breite Treppe, vom unteren Absatz ausgesehen, macht einen bedrohlichen Eindruck auf mich.
Ich versuche, diese Eindrücke zu relativieren, mir einzureden, dass es eben ein altes Gebäude ist und ich ein ängstlicher Typ.

Ich gebe mir einen Ruck und versuche unbekümmert die Treppe hinauf zu laufen, um in mein Zimmer zu kommen. In Wirklichkeit klopft mein Herz wie wild und ich will eigentlich gar nicht auf mein Zimmer, sondern es zieht mich zu dem Bild.

Ich spüre den auf mich gerichteten Blick schon in der Mitte der Treppe. Sie erwartet mich.
Unverständlicher Weise ist es für mich nicht verwunderlich; ich laufe hinauf und bleibe vor dem Bild stehen.

„Hier bin ich“, flüstere ich.
Sie lächelt, als hätte sie mich erwartet.
„Endlich“, haucht sie kaum verständlich

Die Iris in den dunklen Augen wird größer, als würde sie in die Tiefe meiner Seele blicken und dort nur Dunkelheit sehen.
Es erschreckt mich, ich drehe mich um, laufe gehetzt in mein Zimmer und schließe die Türe hinter mir. Mein Atem fliegt, ich bekomme keine Luft, mein Herz rast.  Ich lehne an der Innenseite der Türe und drehe mit zitternder Hand den Schlüssel im Türschloss um.
Es ist doch nur ein Bild, versuche ich mir einzureden.

Mit bleischweren Beinen durchquere ich den Raum und öffne die Türe zum Balkon. Kühle Nachtluft strömt herein, die Stimmen und das Lachen der Seminarteilnehmer sind von unten herauf zu hören und die Welt scheint wieder in Ordnung zu sein.
Wie konnte ich nur so in Panik geraten, so meine Beherrschung verlieren!

Das Badezimmer erfüllt alle Wünsche, die man an ein Fünfsternhotel richten kann. Durch die Betätigung des Lichtschalters erklingt leise Musik. Sie wirkt beruhigend auf mich.

Das warme Wasser tut sein Übriges und ich beginne mich auf das Bett und das mitgebrachte Buch zu freuen. Nach einigen Seiten der sehr interessanten Lektüre passiert das Unerwartete.
Die Glühlampe in der Nachttischleuchte explodiert mit einem lauten Knall und in der Folge der grüne Lampenschirm ebenfalls. Ich fahre erschrocken hoch und spüre gleichzeitig feine Glassplitter auf meinem Hals und auf den Händen.
Kleine Blutstropfen suchen ihren Weg zwischen dem Mittel- und dem Zeigefinger. Ich schaue entsetzt darauf.
Dann explodieren nacheinander alle Glühlampen im Raum, auch diejenigen, die nicht brannten.
Die Angst ist greifbar für mich. Sie beginnt in den Fingerspitzen und kriecht langsam die Arme hoch, bis sie mein Herz erreicht und es erfrieren lässt.
Alles Blut hat sich im Kopf gesammelt und pocht gegen die Schläfen und meine Augen verlassen die Höhlen. Ich will schreien, meine Angst artikulieren. Doch es kommt kein Ton aus meinem Mund.

Aus den Augenwinkeln sehe ich vorerst nur leichtes Flimmern, dass durch die geschlossene Türe herein sickert. Langsam, im Zeitlupentempo drehe ich den Kopf und starre darauf. Es verdichtet sich, wird heller und mit dem intensiveren Licht schwebt gleichzeitig der Körper einer Frau durch die Türe, eine Frau mit einem weinroten Samtkleid mit weißem Kragen und einem Medaillon um den Hals. Es war die Frau aus dem Bilderrahmen.

Mein Mund ist offen und trocken und ich kann noch immer nicht atmen. Es muss daran liegen, dass mein Körper zu einem Block aus Eis und Kristallen mutiert ist.

Sie steht vor mir und streckt ihren Arm nach meiner verletzten Hand aus. Sie zieht sie zum Mund und beginnt das nach unten laufende Blut gierig abzulecken.
Ihre Zunge ist rauh und ebenso kalt wie mein Körper.
Mit gierigen Fingern beginnt sie nun meinen Pyjama aufzuknöpfen und ihre vollen Lippen suchen jeden Blutstropfen auf der verletzten Haut.

Je näher ihr Körper kommt, desto kälter wird es um mich herum. Dieser Körper ist es, der die Eiseskälte verströmt und sich mit den Eiskristallen in meinem Inneren vereint.

Von der Mitte ihres Körpers aus, beginnt sich plötzlich ihre Kleidung einfach aufzulösen, man kann durch ihre Körpermitte hindurchsehen.  Sie scheint körperlos zu sein, verschwindet einfach vor meinen Augen mit einem wilden Schrei. Zurück bleibt lediglich ein weißes, dünnes Tuch am Boden neben meinem Bett.

Ich sollte eigentlich schreien, Hilfe holen. Doch leider kann ich mich nicht bewegen. Es liegt wahrscheinlich daran, dass   ich noch immer zu einem Eisblock erstarrt bin.

Der einzige Ton, der aus meiner Kehle kommt, ist ein heiseres Krächzen. Ich habe den Eindruck, dass auch dieses Krächzen gefroren ist und klirrend zu Boden fällt.

Aus dem Boden neben meinem Bett schießt plötzlich ihre Gestalt wieder empor und richtet sich bedrohlich über mir auf.
„Bemühe dich nicht, du stehst auf der Schwelle in meine Welt!“

Ihr Mund ist zu einem teuflischen Grinsen verzogen, die scharfen Eckzähne leuchten weiß und spitz hervor und senken sich langsam über mich.

Wieder trifft mich dieser eiskalte Hauch, meine Angst wird unerträglich und meine Augen starren verzweifelt in dieses total verzerrte Gesicht. Ich kann mich noch immer nicht rühren und muss in dieser Erstarrung mit ansehen, wie sich dieser grausame Mund langsam auf meinen Hals senkt und mit einem knirschenden Geräusch in meine Halsschlagader eindringt.

Dieses weibliche Ungeheuer beginnt mich gierig auszusaugen, meinen Lebenssaft aufzunehmen. Da offenbar auch mein Blut zu Eiskristallen erstarrt ist, verläßt es mich nur zögernd und zäh. Ich spüre wie sich in mir eine gähnende Leere ausbreitet. Gleichzeitig fühle ich eine unglaubliche Leichtigkeit, sehe Schatten um mich herum sich bewegen, die vorher nicht da waren.

Ihre Hände umfassen meine Schultern und ziehen meinen Körper langsam in die Höhe. Er ist nur mehr eine leblose Hülle, blutleer, seelenlos und federleicht. Das, was von mir in dieser Welt bleibt sind meine Kleider, meine persönlichen Sachen im Hotelzimmer, naja eigentlich mein ganzes bisheriges Leben.

Die Schatten um mich herum materialisieren sich, umhüllen meinen Körper, geben ihm Konturen.

Wir durchdringen mühelos die schwere Eichentüre des Zimmers und treten hinaus auf den Gang der ersten Etage.  Wir gleiten am Boden entlang und wie durch magnetische Kräfte werde ich mit der vor mir schwebenden Gestalt unaufhaltsam in den nun leeren schweren goldenen Bilderrahmen an der dunklen Holztäfelung, gezogen.

Hier stehe ich nun hinter ihr, halb verdeckt, meine rechte Hand liegt auf ihrer Schulter, als wäre das selbstverständlich.

Wird je jemand versuchen zu ergründen, wohin einzelne Hotelgäste so plötzlich verschwinden?

Bin gefangen in einem Bild für die Ewigkeit, oder bis wieder jemand vorbeikommt, der mit seinen Augen haften bleibt an einem der Bilder, die wie selbstverständlich in der Galerie des Schlosses hängen.



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Freitag, 27. Oktober 2017

Der Engel von Gegenüber, Romantik



Der Engel von Gegenüber
von Joana Angelides 


Bildergebnis für frau am fenster


Gegenüber, im dritten Stock eines alten Patrizierhauses brennt wie in jeder Nacht, Licht. Sie schaut gedankenverloren hinüber. Schläft er nie?

Seit sie nun vor einer Woche hier eingezogen ist, beobachtet sie das in jeder Nacht.

Ihre Wohnung ist eine Atelierwohnung, ganz oben, mit breiten Fenstern. Sie eignet sich wunderbar zum Zeichnen von Kleidern, entwerfen von Modellen für ein großes Modehaus. Da sie den ganzen Dachboden für sich alleine hat, kennt sie kaum einen der anderen Mieter und genießt die Ruhe, die sie dringend braucht. Selbst der Straßenlärm kommt nur gedämpft bis hier herauf.
Mit "Er" ist ein Mann in mittleren Jahren gemeint, der scheinbar nur nachts arbeitet. Denn da sieht sie jede Nacht das Licht brennen und manchmal seine Gestalt an dem bis hinunterreichenden Fenster vorbeigehen, die Schatten auf die zugezogenen Vorhänge wirft. Es ist eigentlich mehr eine Türe, jedoch ohne Balkon, geschützt durch ein altes, geschmiedetes Gitter. Durch die Vorhänge hindurch kann man eine Sektion des Raumes sehen. Ein Schreibtisch mit einer noch zusätzlichen Arbeitslampe beleuchtet den Arbeitstisch. Ein Computerschirm ist zu erkennen und einige Bücher, jeweils in anderer Formation.
Da sieht sie ihn manchmal, regungslos sitzend oder schreibend. Hin und wieder steht er hastig auf und tritt an das Fenster. Er scheint seine Gedanken draußen zu suchen.
Nur sehr selten kann man auch bei Tag durch die geöffneten Flügel des Fensters ein wenig von dem Raum dahinter sehen. Ein- oder zweimal konnte sie ihn da auch am Fenster stehen sehen, rauchend und in Gedanken versunken.
Nun steht er wieder einmal auf und tritt an das Gitter vor der Türe. Er raucht und man kann das Glimmen der Zigarette in kleinen Intervallen sehen.
Sie sitzt am Fensterbrett, gelehnt an den Fensterstock des breiten Atelierfensters und hält ebenfalls eine Zigarette in der Hand, von der sie hin und wieder einen Zug macht. Als sie fast zu Ende geraucht ist, schnippt sie sie in weitem Bogen in die Luft. Das klimmende Licht macht einen weiten Bogen und senkt sich dann zur Straße hin.
Das aufflammende Licht hat die Aufmerksamkeit der dunklen Gestalt gegenüber erregt und er blickt durch die Nacht zu ihr hinauf.
Sie erscheint ihm im Fensterrahmen wie eine Engelsgestalt. Sie trägt das Haar offen und über die Schulter fallend. Ihre Haarfülle, dem leicht gekrausten, naturblonden Haar, strahlt von weitem wie ein Lichterkranz um sie herum. Der Eindruck wird noch verstärkt durch eine kleine hinter ihr befindliche Lampe, die ihr Licht sanft im Raum verbreitet.
Das helle, weite, durchsichtige Hauskleid mit den langen weiten Ärmel, das ihre Gestalt umspielt und über ihre Knie gezogen ist, vermittelt den Eindruck einer Lichtgestalt.
Sie merkt, dass er nicht aufhört zu ihr herauf zu blicken und bleibt regungslos sitzen, bewegt nur hin und wieder den Kopf ein wenig. Die Lichter tanzen auf den Spitzen der Haare und verstärken die Reflexe.
"Dort oben sitzt scheinbar ein Engel?" Der Mann kann seinen Blick nicht abwenden, so fasziniert ist er von dieser Erscheinung. Dann lächelt er leicht.
Es ist eigentlich schade, dass sie dieses Lächeln von dort oben nicht sehen kann
Die Nacht wird kühler, ein leichter Wind kommt auf und spielt mit dem dünnen Stoff ihres Kleides und läßt den Schal leicht flattern.
Er steht noch immer regungslos gegenüber und blickt hinauf. Es ist als würde er erwarten, daß sie jeden Moment ihre Flügel ausbreitet und wegfliegt.
Da ihr kühl geworden war, ließ sie sich von der Fensterbank gleiten und entschwindet so seinen Blicken, da der Dachvorsprung der Atelierwohnung seine Blicke aussperrt.
Sie löscht das kleine Lämpchen im Raum und geht ins Bett. Doch es wird eine unruhige Nacht. Sie muß immer wieder an die Gestalt gegenüber denken und daran, daß er unentwegt zu ihr hinaufblickte.
Ihr erster Blick am Morgen, noch mit der Kaffeetasse in der Hand gilt dem Fenster schräg unter ihr, gegenüber in dem schönen Patrizierhaus.
Alle Fenster und auch die kleine Türe mit dem Gitter sind verschlossen und man kann keine Bewegung sehen.
Irgendwie enttäuscht wendet sie sich ihrem Zeichentisch zu und beginnt zu arbeiten.
Die folgenden Stunden ist sie so intensiv bei ihren Entwürfen und Ideen, dass sie das kleine Intermezzo, das ja eigentlich gar keines war, vergißt.
Am Nachmittag rafft sie ihre neuen Zeichnungen zusammen und legt sie in die große Mappe, um sie wegzutragen.
Sie hat ihre Haare mühsam zu einem Knoten zusammen gefaßt und hochgesteckt. Eine kleine weiße Bluse und ihre Jeanshose passend zu den flachen Sandalen läßt sie wie ein junges Mädchen erscheinen, obwohl sie schon Mitte Dreissig ist und eine gescheiterte Ehe hinter sich hat.
Sie verläßt gerade den Lift, als sie durch das Fenster der Eingangstüre einen Mann auf das Haus zustreben sieht.
Er öffnet ihr galant die Türe und läßt sie als erste hinaus.
"Ach, entschuldigen Sie, können sie mir sagen, wer da ganz oben wohnt? In der Dachwohnung?"
Sie erschrak und stellte die Mappe mit den Zeichnungen nieder. Es war scheinbar der Mann von gegenüber. Seine Stimme klang dunkel, mit einem leichten Timbre und sie spürte, wie ihre Knie zitterten. Er sah sehr gut aus, seine Augen waren braun und er lächelte sie freundlich an.
"Da wohnt niemand!" Hörte sie sich sagen.
"Aber, ich sah heute Nacht Licht!?"
"Da müssen sie sich geirrt haben. Die Wohnung steht schon seit einem halben Jahr leer."
Sie nahm ihre Mappe wieder auf und ging zum Auto. Ohne ihn noch einmal anzusehen, gab sie Gas und fuhr weg. Aber nur um die nächste Ecke, da blieb sie stehen und schloß die Augen.
Wie konnte das nur passieren, daß sie beim erstbesten gutaussehenden Mann den Boden unter den Füßen verlor und ihr Herz zu klopfen begann?
Sie wollte nach der Trennung von Max nie wieder in solch eine Situation kommen. Nie wieder durften sie Gefühle so beeinflussen, daß sie unfähig war, logisch zu handeln.
Sie atmete durch, startete das Auto wieder und fuhr in die Firma.
Als sie abends wieder an ihrem Zeichentisch saß, erfaßte sie Unruhe und eigentlich wollte sie zu den Fenstern gegenüber hinunterschauen, ob auch er an seinem Schreibtisch saß. Doch sie hatte die dunklen schweren Vorhänge, die sie aus ihrer gemeinsamen Wohnung mit Max mitgenommen hatte, vorgezogen. Sie ließen kein Licht hinaus. Sie wollte, daß man glaubte, die Wohnung sei unbewohnt.
Gegenüber saß der Mann an seinem Schreibtisch und blickte hinauf zu der Dachwohnung. Tatsächlich konnte er kein Licht sehen und kam zu dem Schluß, er hätte sich in der Nacht zuvor geirrt.
Als sie mit ihrer Arbeit fertig war, löschte sie alle Lichter, vergaß jedoch das kleine Lämpchen bei dem kleinen Tischchen im Vorraum. Sie öffnete die dunklen Vorhänge und das große Fenster und ließ die angenehme Nachtluft herein.
Ihr Blick glitt zu den Fenstern gegenüber und da sah sie ihn, wie er an seinem Schreibtisch saß und schrieb.
Sie setzte sich wieder auf das Fensterbrett und zog die Knie an, lehnte ihren Kopf zurück und schloß die Augen. Sie atmete tief ein und die laue Luft entspannte ihren ganzen Körper.
Um sich noch mehr Entspannung zu verschaffen, hob sie beide Arme und verschränkte sie hinter dem Kopf. Die Luft tat ihr gut.
Gegenüber trat der Mann an die Türe seines Zimmers und blickte überrascht hinauf. Da war sie wieder, diese helle, weiße Gestalt, mit dem Lichterkranz um den Kopf und dem weißen, durchsichtigen Kleid, mit dem flatternden Schal, sein Engel!
Durch das Hochheben der Arme, sah es einen Augenblick aus, als würde dieser Engel wegfliegen wollen.
Er wußte nun nicht, wem er glauben sollte. Dieser jungen Frau heute morgen, oder seinen Augen, die ja die Gestalt wahrhaftig sahen.
Er konnte seinen Blick nicht abwenden und er wünschte sich sogar, fliegen zu können, um hinüber zu fliegen und diesen Engel zu berühren.
Er überlegte sich, wie sich wohl das Haar anfüllen würden, wenn er mit seinen Fingern darin versinken würde? Wie würde der Engel, oder war es doch eine "Sie", wohl riechen? Nach weißem Leinen und Blüten, stellte er sich vor.
Sie sah ihn ebenfalls, an das Gitter seiner Türe gelehnt und zu ihr hinaufblicken. In diesem Moment war sie wie verwandelt. Sie genoß seine Blicke, die sie gar nicht sehen, sondern nur spüren konnte, fing seine Gedanken auf und konnte sich nicht entschließen, von der Fensterbank zu gleiten, um sich diesen Blicken zu entziehen.
Sie beließ die Arme oben und bewegte sich leicht, so wie als würde sie in sich in seinen Armen räkeln.
Sie nahm ihre Arme nun wieder herab und betrachtete den Mann am Fenster gegenüber. Seine Gestalt schien größer geworden zu sein, sie meinte seine Augen vor sich zu sehen. Sie spürte seinen Blick, wie er sich in ihre Seele senkte und sie nicht wieder losließ.
Die Arme leicht ausgestreckt berührte er Ihren Körper und sie fühlte sich von seinen Gedanken, schwebend über die Dächer davongetragen.
Es mischte sich Traum mit Wirklichkeit, ihre Haut wurde wie Pergament und der leichte Luftzug der Nacht gaukelte ihr Berührungen und ihre Haut liebkosende Lippen vor.
Es war, als würde ihr ganzer Körper im Takte der sich bewegenden Zweige des Baumes vor dem Haus, vibrieren. Es war Flüstern und Raunen zu hören, die Blätter summten ihr Lied dazu.
Das Mondlicht beleuchtete diese Szene mit seinem hellen weichen Licht und ließ alles unwirklich erscheinen. Neben dem Mond konnte man den Abendstern blinken sehen und sie stellte sich vor, wenn dann alle Menschen schlafen werden, daß sich die Beiden treffen.
Sie stellte sich vor, der Abendstern wird sich im Schoße von Frau Luna niederlassen, sich von der Sichel schaukeln lassen und erst mit der Morgendämmerung am Himmel unsichtbar werden.
Lächelnd ob dieser Träumereien, beschloß sie nun aber doch, wieder von der Fensterbank herab zu gleiten und in der Dunkelheit des Raumes zu verschwinden.
Ob er noch einmal ihren Weg kreuzen wird, ob er doch nach ihr suchen wird?
Als sie längst in ihrem Kissen lag, die Augen geschlossen und mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen, hoffte sie, daß er noch einmal versuchen wird, sie zu finden.
Der Mann gegenüber nahm mit großem Bedauern zu Kenntnis, dass die Lichtgestalt wieder verschwand, blieb jedoch noch eine geraume Zeit dort stehen und blickte in den Nachthimmel.
In dieser Nacht hielt er eine schlanke, sich bewegende Gestalt in seinen Armen, vom Licht umflutet, mit goldenem Haar und wunderbar duftend.
Er wußte, er würde sie finden, auch wenn es wirklich ein Engel sein sollte.



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