Donnerstag, 1. Mai 2014

DAS EINHORN, ein Märchen für Träumer



Das Einhorn  
                           Ein Märchen für Träumer                              
VON JOANA ANGELIDES

Der Zauberwald liegt im Licht des Mondes da. Der See in der Mitte des Waldes spiegelt das Mondlicht und die Sterne wider  und fast unsichtbar, nur zu erahnen, schweben durchsichtige milchige Schleier über den See und verlieren sich im Wald.
Diese Nächte gehören den Kobolden, den Waldgeistern und Druiden, die sich unter den hohen Tannen tummeln und ihre Geheimnisse mit sich herumtragen. Sie tanzen über der Erde schwebend, sich leicht wiegend, im Kreise und beschwören die Geister der Zwischenwelten. Sie suchen den Kontakt zu diesen Geistern um die Geheimnisse der Welt weiter tragen zu können, um die Erdkräfte nie versiegen zu lassen.
In Vollmondnächten versammeln sie sich auf der großen Lichtung und umringen  dort herumstehende, leicht sich bewegenden Farne und geheimnisvolle Kräuter. Sie sammeln diese dann und brauen in ihren unterirdischen Höhlen, oder in hohlen Baumstämmen unbekannte Mixturen.
Je nach Bedarf werden diese Mixturen dann zur Heilung verwendet, oder manches Mal um einen ausgesprochenen Zauber zu unterstützen.
All dies geschieht im Verborgenen und nicht viele Menschen haben das Glück, diese Geheimnisse zu erfahren.
Nur empfindsame Seelen, die nach dem Sinn des Lebens suchen, oder verloren gegangene Gefühle wieder einfangen wollen, finden manches Mal den Weg in diesen Zauberwald, und können diesem geheimnisvollen Treiben zu sehen. Und nur jene Seelen, die sich öffnen für alle diese Empfindungen werden den Weg finden.
Manches Mal, wenn sie zu stürmisch nach vorne drängen, werden sie sich das fein gesponnene Gespinst, das die Seele umgibt, an den nach ihr fassenden Ästen oder herausragenden Wurzeln  beschädigen.

Mitten in diesen Wäldern können eben diese Seelen  manchmal das Einhorn sehen. Es steht da, weiß wie Schnee, die Mähne schimmernd wie aus Silber farbenen Fäden gewebt, bewegungslos, im nächsten Moment ist es  wieder verschwunden.

Meist können es nur die Menschen sehen, die auch reinen Herzens sind und den Zauber der dunkelblauen Nächte, der silbernen Tage und goldenen Abende in sich aufnehmen. Das Einhorn erscheint oft vor unvorhergesehenen Ereignissen. Kündigt Wunderbares an, zeigt sich Liebenden, oder mahnt vor den Mächten der Dunkelheit. 

Nun gab es immer wieder Menschen, die das Einhorn jagten. Sie suchten es in  Wäldern, lauerten ihm bei den Wasserstellen auf. Sie hatten keinen Sinn für den Zauber dieses Wesens, das seit vielen Jahrhunderten den Menschen in ihren Sagen und Geschichten das Staunen lehrte. Man glaubte an Heilkräfte und Zauberkräfte, die das lange Horn besitzen soll. Viele zogen sogar aus, um dieses Fabelwesen zu finden, es womöglich einzufangen oder gar zu töten, nur um des Hornes willen.

Eines dieser unschuldigen Menschenkinder aber  hatte es gefunden. Es war ein wunderschönes Mädchen, das mitten in diesem Zauberwald lebte und nie älter zu werden schien. Es lief durch den Wald, auf bloßen Sohlen, mit wehendem, weißem Gewande und flatternden goldenem Haar. Ihr goldener Schleier strich manchmal leicht über den Rücken des Einhorns. Manchmal lehnte es an der Seite des Einhorns wenn es trank, dann wiederum schwang es sich auf seinen Rücken  und vergrub sein Gesicht in seiner Mähne. Und das Einhorn warf dann den Kopf zurück und sprang leichtfüßig über den kleinen Bach.
In Neumondnächten schienen sie  menschliche Gestalt anzunehmen, sie lagen dann zwischen den Blüten der Wiesen, oder schwammen im dunklen See, von Seerose zu Seerose und ihr Lachen war wie klingende Harfenmusik. Für einen eventuellen Beobachter, den es nicht gab, würden  sie die Liebe selbst verkörpern, aufgehend in immer wieder kehrenden Verschmelzungen und Kapriolen. Doch war dies nur in diesen dunklen Nächten zu ahnen und wahrscheinlich gar nicht wahr.

Doch meist sah  man sie nur zusammen durch den Wald streichen und sich dabei immer wieder zärtlich berührend.

So war es auch heute wieder. Es war ein wunderschöner Tag, die Sonnenkringel  machten bewegliche Muster auf den weichen Waldboden und die Bienen summten, die Stille wurde hörbar.

In diesem Augenblick senkte sich von oben her ein Netz über die beiden und das Einhorn stolperte und fiel hin.
Auch das Mädchen aus dem Zauberwald war in diesem Netz gefangen.

„Tut ihm nichts, er ist das letzte Einhorn auf dieser Welt! Die Wunder der Zwischenwelten und die Fantasie der Menschen werden versiegen!“ Flehende Blicke kamen aus den blauen Augen des Mädchens.

„Naja, dann ist es eben das Letzte! Und außerdem, welche Wunder?  In unserer Welt gibt es keine Wunder mehr, vielleicht gab es sie niemals!“

Da zog einer der Männer ein großes Beil aus seinem Sack und mit einem Hieb schlug er dem Einhorn das weit herausragende Horn am Kopfe ab.

In diesem Augenblick erhob sich ein Sturm, er fegte durch den Wald und riß Zweige und Blätter ab. Der Wind war so stark, dass  die beiden Männer hinfielen. Doch sie rappelten sich auf, nahmen das Horn, und ihr Beil und liefen, voller  Angst, in den dunklen Wald.
Das Einhorn lag da, verletzt und aus der Wunde blutend. Das wunderschöne Mädchen saß daneben und weinte. Die Tränen rannen aus ihren Augen und fielen als goldene Tautropfen in das Gras.
Im Nu versammelten sich alle Tiere des Waldes um das verletzte Einhorn. Keiner sprach ein Wort, man hörte nur hin und wieder ein leises Schluchzen. Der Wind hatte nachgelassen und es wehte nur mehr ein leichter Hauch durch den Wald, der dann aber ganz plötzlich  verebbte.

Der Vollmond beleuchtete diese Szene gespenstisch.
„Warum machen die Menschen so was?“, schluchzte das Mädchen. Ihre Augen richtete sie dabei an die umstehenden Tiere des Waldes, doch die Tränen verschleierten ihren Blick, so daß sie nur alles verschwommen sehen konnte.

Alle senkten die Köpfe, sie wußten auch keine Antwort.

Da verdunkelte plötzlich etwas das Mondlicht. Alle blickten nach oben. Ein dunkler Vogel schwebte über ihnen, der so groß war, daß sein Schatten die ganze Lichtung bedeckte. Alle duckten sich aus Angst, der Vögel könnte sie mit seinen Schwingen streifen.

„Was haben da die Menschen nur angerichtet!“ Krächzte er.

„Das Einhorn kann nur weiterleben in den dunklen Wäldern, in den Herzen und Fantasien der Menschen, wenn sie an seine Mystik, an seine Wirkung auf die  Menschen und seiner Hilfsbereitschaft für die Armen, die Kranken und  vor allem auf die Liebenden, glauben. Wenn sie es in den Geschichten und Sagen weiterleben lassen.“

Der Vogel krächzte noch einmal laut und der Wind erhob sich wieder, wurde zu einem Sturm.

„Gibt es ein Menschenkind hier, das an all dies glaubt, das die Geschichten in die Häuser und Herzen der Menschen hinein tragen  wird und sie bewahren? Wenn es niemand gibt der das tut, dann wird das Einhorn für immer aus unserer Welt verschwinden!“

Da blickte das schöne Mädchen langsam empor und sah den großen schwarzen Vogel ohne Furcht an.
„Ja, ich! Ich glaube an das Einhorn, ich werde es immer begleiten, werde seine Existenz den Menschen nahe bringen und sie lehren, es zu bewundern und zu ehren!“

Da erhob sich der große schwarze Vogel wieder in die Luft und der Sturm im Wald wurde so arg, daß die Bäume alle Blätter verloren und den Boden einen Meter hoch bedeckten. Sein Krächzen war in diesem Getöse kaum zu hören.
Alle, die konnten, flüchteten auf die Bäume oder die erhöhten Felsenvorsprünge, um dem Sturm und den herunter prasselnden Blätter zu entkommen. Manche wühlten sich durch die Blätter zu ihren Höhlen.

Die beiden Männer wollten in  Panik aus dem Wald flüchten, doch nach einer Krümmung des Weges stürzten sie in die Tiefe der Schlucht und ihre angstvollen Schreie konnte man im ganzen Wald hören. Dann war es plötzlich still.

So wie er gekommen war, so schnell  legte sich der Sturm wieder und es war ganz still im Wald.

Da regte sich etwas unter einem Berg von Blättern, Zweigen und Blüten. Ganz langsam erhob sich das Einhorn, die Blätter und Zweige fielen von ihm ab. Er schüttelte sich, stampfte mit den Beinen auf und die weiße volle Mähne flog nach hinten. Da stand es wieder, in voller Größe, leuchtend weiß, mit glühenden Augen und einem intakten langen Horn.

Neben ihm auf dem Boden lag das wunderschöne Mädchen, völlig bewegungslos, den Kopf auf den Arm gelegt und rührte sich nicht. Das Einhorn berührte es mit seinem Horn, sanft und zärtlich. Da öffnete das Mädchen seine Augen wieder  und sprang auf.

Es war ein Zauber geschehen, nicht nachvollziehbar, unerklärlich und doch wunderbar und die Märchen und Sagen, die Geschichten und die Mythologie mit ihren  Geheimnissen vollziehen weiterhin ihren Kreislauf.


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