Sonntag, 18. Mai 2014

GEFANGEN FÜR ALLE EWIGKEIT, myst.



Bildergebnis für leo putz maler


Gefangen für alle Ewigkeit.
von JOANA ANGELIDES


Seit ich in dem Seminar-Hotel, das eigentlich ein umgebautes altes Schloss ist, eingecheckt habe wandle ich auf  einer Wolke, alles rundum dringt nur gedämpft und unwirklich zu mir durch.
Und ich sehe Augen! Ein  wundervolles dunkles Augenpaar, tief und unergründlich, spöttisch und fragend. Sie liegen in einem ovalen Gesicht, wie aus Elfenbein geschnitzt, umrahmt von dunklem Haar und einer strahlenden Aura, die scheinbar nur ich sehen kann.

Das Bild hängt in der ersten Etage  des alten Schlosses. Es ist das Portrait einer jungen, stolz und unnahbar wirkenden Frau. Ja, wenn da nicht dieses spöttische Blinken wäre.

Egal, wo ich mich in dieser Etage befinde, ihre Augen verfolgen mich, es ist mir  unmöglich ihnen  zu entkommen. Immer, wenn ich die Türe meines Zimmers öffne, fällt mein  Blick zu ihr hin und sie begegnen sich. Wenn ich die Treppe heraufkomme, so liegt dieser Blick  auf mir und je höher ich die Treppe hinaufsteige, umso spöttischer wird er.

Es ist das einzige Bild, das nur eine Person darstellt. Auf allen anderen Gemälden sind zwei oder drei Menschen dargestellt. Immer eine Person im Mittelpunkt sitzend und eine oder zwei Personen im Hintergrund, als wären sie Staffage. Es ist mir nicht gleich aufgefallen, sondern erst  heute, seit jenem seltsamen abendlichem Ereignis............

Um vom Treppenaufgang  in mein Zimmer zu gelangen, muss ich an dem Bild der geheimnisvollen Dame vorbei und merke jedes Mal, wie sich Schweißperlen auf meiner Stirne bilden. Das breite, von Schulter zu Schulter reichende, nicht sehr tiefe Dekollete hebt und senkt sich, als würde sie atmen. Selbst das kleine runde Medaillon, das sie um den Hals trägt, spiegelt sich im  einfallenden Licht.  Wenn das hohe Fenster an der schmalen Seite des Ganges offen steht, so merke ich, dass sich die feinen Härchen am Haaransatz dieser geheimnisvollen Frau wie durch einen leichten Luftzug bewegen und  sich widerborstig dem Zwang einer Frisur verwehren zu scheinen.

Der weiße, aufgestellte Spitzenkragen des weinroten Samtoberteiles fängt einige Haarlocken, die sich rückwärts gelöst haben, auf. Das Bild scheint zu leben.
Es ist sowieso bemerkenswert, dass die Bilder in dieser scheinbaren Ahnengalerie sehr lebendig wirken. Sie sind alle in der gleichen Art gemalt, doch meist sind sie, wie bereits erwähnt,  paarweise abgebildet, entweder steht der männliche Part hinter der Dame, oder er sitzt in einem aufwendigen Stuhl und zu seinen Füßen hingegossen ein Frauenkörper.

„Anne de Bouvier,  1722-1750“  steht auf dem Schild meiner einsamen Schönheit, das am unteren Rand des dunkel vergoldeten Rahmens angebracht ist. Sie ist also nicht sehr alt geworden, gerade 28 Jahre alt.

Ich ertappte mich, auch während des Seminars an sie zu denken  und daher manche Passage des Vortragenden zu versäumen. Ich mache mir dementsprechende Notizen, um es nachträglich nachzulesen.

Das Abendessen verläuft quälend für mich. Ich beantworte Fragen der anderen Teilnehmer, nehme an belanglosen Debatten teil und die erste Gelegenheit wahr, mich zu verabschieden, um auf mein Zimmer zu gehen.

Schon bei Tage wirkt das Schloss unheimlich, düster und auch geheimnisvoll. Die breite Treppe,  vom unteren Absatz aus gesehen, macht einen bedrohlichen Eindruck auf mich.
Ich versuche, diese Eindrücke zu relativieren, mir einzureden, dass es eben ein altes Gebäude ist und ich ein ängstlicher Typ.

Ich gebe mir einen Ruck und versuche unbekümmert die Treppe hinauf zu laufen, um in mein Zimmer zu kommen. In Wirklichkeit klopft mein Herz wie wild und ich will eigentlich gar nicht auf mein Zimmer, sondern es zieht mich zu dem Bild.

Ich spüre den auf mich gerichteten Blick schon in der  Mitte der Treppe. Sie erwartet mich.
Unverständlicher Weise ist es für mich nicht verwunderlich; ich laufe hinauf und bleibe vor dem Bild stehen.

„Hier bin ich“, flüstere ich.
Sie lächelt, als hätte  sie mich erwartet.
„Endlich“, haucht sie kaum verständlich

Die Iris in den dunklen Augen wird größer, als würde sie in die Tiefe meiner Seele blicken und dort nur Dunkelheit sehen.
Es erschreckt mich, ich drehe mich um,  laufe gehetzt in mein Zimmer und schließe die Türe hinter mir. Mein Atem fliegt, ich bekomme  keine Luft, mein Herz rast.  Ich lehne an der Innenseite der Türe und drehe mit zitternder Hand  den Schlüssel im Türschloss um.
Es ist doch nur ein Bild, versuche ich mir einzureden.

Mit bleischweren Beinen durchquere ich den Raum und öffne die Türe zum Balkon. Kühle Nachtluft strömt herein, die Stimmen und das Lachen  der Seminarteilnehmer sind von unten herauf zu hören und die Welt scheint wieder in Ordnung zu sein.
Wie konnte ich nur so in Panik geraten, so meine Beherrschung verlieren!

Das Badezimmer erfüllt alle Wünsche, die  man an ein Fünfsternhotel  richten kann. Durch die Betätigung des Lichtschalters erklingt leise Musik. Sie wirkt beruhigend auf mich.

Das warme Wasser tut sein Übriges und ich beginne mich auf das Bett und das mitgebrachte Buch zu freuen. Nach einigen Seiten der sehr interessanten Lektüre passiert das Unerwartete.
Die Glühlampe in der Nachttischleuchte explodiert mit einem lauten Knall und in der Folge der grüne Lampenschirm ebenfalls. Ich fahre erschrocken hoch und spüre gleichzeitig feine Glassplitter auf meinem Hals und auf den Händen.
Kleine Blutstropfen suchen ihren Weg zwischen dem Mittel- und dem Zeigefinger. Ich schaue entsetzt darauf.
Dann explodieren nacheinander alle Glühlampen im Raum, auch diejenigen, die nicht brannten.
Die Angst ist greifbar für mich. Sie beginnt in den Fingerspitzen und kriecht langsam die Arme hoch, bis sie mein Herz erreicht und es erfrieren  lässt.
Alles Blut hat sich im Kopf gesammelt und pocht gegen die Schläfen und meine Augen verlassen die Höhlen. Ich will schreien, meine Angst artikulieren. Doch es kommt kein Ton aus meinem Mund.

Aus den Augenwinkeln sehe ich vorerst nur  leichtes Flimmern, dass durch die geschlossene Türe herein sickert. Langsam, im Zeitlupentempo drehe ich den Kopf  und starre darauf. Es verdichtet sich, wird heller und mit dem intensiveren Licht schwebt gleichzeitig der Körper einer Frau durch die Türe, eine Frau mit einem weinroten Samtkleid mit weißem Kragen und einem Medaillon um den Hals. Es war die Frau aus dem Bilderrahmen.

Mein Mund ist offen und trocken und ich kann noch immer nicht atmen. Es muss daran liegen, dass mein Körper zu einem Block aus Eis und Kristallen mutiert ist.

Sie steht vor mir und streckt ihren Arm nach meiner verletzten Hand aus. Sie zieht sie zum Mund und beginnt das nach unten laufende Blut gierig abzulecken.
Ihre Zunge ist rau und ebenso kalt wie mein Körper.
Mit gierigen Fingern beginnt sie nun meinen Pyjama aufzuknöpfen und ihre vollen Lippen suchen  jeden Blutstropfen auf der verletzten Haut.

Je näher ihr Körper  kommt, desto kälter  wird es um mich herum. Dieser Körper ist es, der die Eiseskälte verströmt und sich mit den Eiskristallen in meinem Inneren vereint.

Von der Mitte ihres Körpers aus, beginnt sich plötzlich ihre Kleidung einfach aufzulösen, man kann durch ihre Körpermitte hindurch sehen.  Sie scheint körperlos zu sein, verschwindet einfach vor meinen Augen mit einem wilden Schrei. Zurück bleibt lediglich ein weißes, dünnes Tuch am Boden neben meinem Bett.

Ich sollte eigentlich schreien, Hilfe holen. Doch leider kann ich mich nicht bewegen. Es liegt wahrscheinlich daran, dass   ich noch immer zu einem Eisblock erstarrt bin.

Der einzige Ton, der aus meiner Kehle kommt, ist ein heiseres Krächzen. Ich habe den Eindruck, dass auch dieses Krächzen gefroren ist und klirrend zu Boden fällt.

Aus dem Boden neben meinem Bett schießt plötzlich ihre Gestalt wieder empor und richtet sich bedrohlich über mir auf.
„Bemühe dich nicht, du stehst auf der Schwelle in meine Welt!“

Ihr Mund ist zu einem teuflischen Grinsen verzogen, die scharfen Eckzähne leuchten weiß und spitz hervor und  senken sich langsam über mich.

Wieder trifft mich dieser eiskalte Hauch, meine Angst wird unerträglich und meine Augen starren verzweifelt in dieses total verzerrte Gesicht. Ich kann mich noch immer nicht rühren und muss in dieser Erstarrung mit ansehen, wie sich dieser grausame Mund langsam auf meinen Hals senkt und mit einem knirschenden Geräusch in meine Halsschlagader eindringt.

Dieses weibliche Ungeheuer beginnt mich gierig auszusaugen, meinen Lebenssaft aufzunehmen. Da offenbar auch mein Blut zu Eiskristallen erstarrt ist, verlässt es mich nur zögernd und zäh. Ich spüre wie sich in mir eine gähnende Leere ausbreitet. Gleichzeitig fühle ich eine unglaubliche Leichtigkeit, sehe Schatten um mich herum sich bewegen, die vorher nicht da waren.

Ihre Hände umfassen meine Schultern und ziehen meinen Körper  langsam in die Höhe. Er ist nur mehr eine leblose Hülle, blutleer, seelenlos und federleicht. Das, was von mir in dieser Welt  bleibt sind meine Kleider, meine persönlichen Sachen im Hotelzimmer, naja  eigentlich mein ganzes bisheriges Leben.

Die Schatten um mich herum materialisieren sich, umhüllen meinen Körper, geben ihm Konturen.

Wir durchdringen mühelos die schwere Eichentüre des Zimmers und treten hinaus auf den Gang der ersten Etage.  Wir gleiten am Boden entlang und wie durch magnetische Kräfte werde ich mit der vor mir schwebenden Gestalt unaufhaltsam in den nun leeren schweren goldenen  Bilderrahmen an der dunklen Holztäfelung, gezogen.

Hier stehe ich nun hinter ihr, halb verdeckt, meine rechte Hand liegt  auf ihrer Schulter, als wäre das selbstverständlich.

Wird je jemand versuchen zu ergründen, wohin einzelne Hotelgäste so plötzlich verschwinden?

Bin gefangen in einem Bild für die Ewigkeit, oder bis wieder jemand vorbeikommt, der mit seinen Augen haften bleibt an einem der Bilder, die wie selbstverständlich in der Galerie des Schlosses hängen.




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