Serenissima, Amore mia
von Joana Angelides
Sie holt sich den Brief vom Schreibtisch, der nun schon
zwei Tage dort liegt, über den sie sich ungeheuer gefreut hat und macht es sich
auf der breiten Sitzbank bequem.
Sie lehnt sich an ihr
übergroßes Kuschelpolster und zieht die Beine an, ihre Füße sind nackt und ihre
Zehen bewegen sich spielerisch.
Sie liest den Brief immer
wieder. Alissia, eine Freundin aus der Studienzeit, die seit ihrem Abschluß in
Venedig lebt, hat sie für ein paar Tage eingeladen bei ihr zu wohnen und zwar
genau in jener Woche, wo der weltberühmte Karneval in Venedig stattfindet.
Als sie beide die
Kunstakademie in Wien besuchten, gab es viele Wochenenden, an denen sie sich einfach in den Zug setzten und nach Venedig
fuhren. Diese Stadt, Serenissima, die Perle an der Adria, hatte es ihnen schon
damals angetan. Sie standen gerne auf der Rialtobrücke und ließen Blütenblätter
ins Wasser fallen oder flirteten mit den Gondolieri, die unter ihnen
durchglitten und manchmal schickten sie ihnen sogar Kußhändchen, um sie aus der
Fassung zu bringen.
Sie wohnten immer in einer
kleinen Pension in der Calle Modena.
Die Pension war sauber und
billig, der Ausblick von den unverhältnismäßig großen Balkonen war
überwältigend. Man hatte den Blick frei bis zum Canale Grande, rechts und links
auch auf einigen Kirchen und alte Paläste. Die pastellfarbenen Fassaden der alten Palazzi sahen bezaubernd
aus, man übersah die oft abbröckelnden
Ecken über all diesem Charme, den die Stadt ausstrahlt.
Die Wirtin war eine kleine
runde Person mit freundlichem Wesen und brachte immer irgendetwas extra für die
„armen Studentinnen“ auf den Tisch.
Und war da nicht der Sohn
ihrer Wirtin? Wie hieß er doch?
Sie lächelte verträumt vor
sich hin. Er war damals wahnsinnig in sie verliebt und jedesmal wenn sie da
wohnten, saß er so oft es ging auf den Stufen, die von der schmalen Calle zum
Hauseingang und weiter in den ersten Stock hinauf führten und blickte mit
verklärten Augen zu ihrem Balkon empor. Seine Bewunderung schmeichelte ihr und
sie genoß es.
Von der stolzen Mama
erfuhren sie, dass er ebenfalls Student an der Kunstakademie sei und sicher einmal ein großer Maler oder Bildhauer
werden wird. So genau wollte sie sich da nicht festlegen.
Es machte ihr damals Spaß,
in einem weiten weißen, fast durchsichtigen Kleid und einem Strohhut mit einem blauen Band, am
Balkon zu sitzen, die bloßen Füße aufgestützt auf dem gegenüber stehenden Sessel, die Zehen spielerisch zu bewegen und
so zu tun, als würde sie angestrengt in die Ferne blicken um Venedig zu
zeichnen. Sie genoss seine sehnsüchtigen Blicke, die er vergebens zu verstecken
suchte, indem er immer eine Zeitung in
der Hand hielt.
Eines Morgens entschloss
sie sich, einen Bleistift über die Balkonbrüstung fallen zu lassen und dem
jungen Mann zuzurufen, ihr diesen wieder rauf zu bringen.
Sofort begann er diesen zu
suchen und zeigte ihn ihr dann. Er lief die Stufen hinauf und kam atemlos oben
an.
Als er so im Türrahmen stand, schwer atmend, ihm die
schwarzen Locken in die Stirne fielen
und seine dunklen großen Augen auf ihrem etwas verrutschten Kleiderausschnitt
hängen blieben, erschien er ihr wie ein Bildnis vorn Michelangelo.
Seine natürliche Schönheit
raubte ihr damals den Atem. Sie zeichneten des Öfteren auf der Kunstakademie
nach lebenden Modellen, doch in dieser
Vollkommenheit und ausgewogenen Balance hatte sie vorher noch nie ein Modell
gesehen.
Sie überlegte wie alt er
sein mochte und kam zu dem Schluss, dass er ungefähr in ihrem Alter war.
„Willst du mir Modell
stehen? Ich werde dich zeichnen! Wie heißt du eigentlich?“
„Luciano!“ Sagte er ganz
leise.
Ohne seine Zustimmung
abzuwarten, nahm sie ihm bei der Hand und führte ihn in die Mitte des Raumes zu
einem Sessel mit einem weinrot gemusterten Überwurf, wo ihr die Beleuchtung am
günstigsten erschien.
Er ließ es geschehen, ließ
sich fast willenlos hin und herschieben, sein
Hemd etwas mehr öffnen, so dass
man seine linke Schulter sehen konnte.
Als sie ihn berührte überzog eine zarte Röte seine Wangen. Sie mußte heute
noch zugeben, dass ihr das damals sehr gefiel.
Mit dem Zeigefinger hob sie
sein Gesicht etwas in die Höhe und befahlt ihm, sie anzuschauen und den Kopf
nicht zu bewegen.
Als sie seinen Körper
abermals berührte, ihn ein wenig drehte, spürte sie wie er zitterte.
Sie hatte ihre Staffel
zirka drei Meter von ihm entfernt aufgestellt und begann die Umrisse seines
Kopfes bis zu den Schultern zu zeichnen.
Sie saß auf einer Art Barhocker mit drei
Beinen und einer kleinen Rückenlehne,
ließ einen Fuß in der Luft baumeln und mit dem anderen stützte sie sich
auf dem Fußboden ab. Er hielt ganz still und schaute sie ununterbrochen an.
Seine Augen brannten aus seinem schönen Gesicht, nur manchmal zuckten die
Augenlider. In den entsprechenden Gewändern würde er wie ein italienischer
Edelmann der Renaissance aussehen,
überlegte sie.
Er kam nun pünktlich jeden
Nachmittag um ca. 15.ooh und setzte sich immer in derselben Pose ihr gegenüber
hin. Um diese Zeit war der Lichteinfall in dem Raum am besten.
Sie sprachen kaum ein Wort,
er blickte sie unverwandt an und sie ließ immer wieder den Kohlestift sinken und hielt seinem Blick stand. Nur hin
und wieder entschlüpfte ihr ein tiefer Atemzug und ihr Mund öffnete sich
leicht. Die Folge war, dass seine Augenlider mehrere Male hintereinander nervös
zuckten, doch hatte er sich immer wieder in der Gewalt.
Sie zeichnete damals schon
am liebsten mit bloßen Füßen, ließ ihre Zehen spielen oder setzte sie auf den
Boden auf. Sie merkte, dass ihn diese Bewegungen am Rande seines
Gesichtsfeldes, beunruhigten. Hin und wieder schweifte sein Blick ab und blieb
an ihren nackten Füßen und den spielenden Zehen hängen. In solchen Momenten sah
sie, wie sich sein Körper anspannte und er seine Lippen mit der Zunge benetzte.
Am dritten Tag ihrer
Session heizte sich dann die Spannung noch mehr an. Sie kam einige Male zu ihm
hinüber und tat als würde sie die Haltung seiner Schulter verändern.
Ihr loses Kleid, das ihren
fast nackten Körper fließend umspielte, ließ dann tiefe Einblicke frei und sie
merkte wie er auf dem Sessel unruhig hin und her rutschte. Seine Augen wurden
zu einem unergründlichen tiefen schwarzen See, seine Lider senkten sich leicht.
Sie mußte lächeln in der
Erinnerung daran. Sie spielte mit ihm
Katz und Maus. Obwohl sie beide ungefähr gleichaltrig waren, war sie ihm
natürlich weit überlegen.
Das Bild blieb ein
Fragment, nur der Kopf und die
ausgeprägten Schultern zeigte es, als sie dann wieder wegfuhren.
Es war der letzte
Aufenthalt während ihres Studiums, sie kam dann zwar noch öfter nach Venedig,
doch niemals wieder in die kleine Pension.
Sie hatte dieses
halbfertige Bild noch lange in ihrer Wohnung an die Wand gelehnt stehen und
jedesmal wenn sie es ansah, mußte sie lächeln. Die Erinnerung an diese
Nachmittage erzeugten immer wieder ein kleines Kribbeln in der Magengrube und
ihre Zehen bewegten sich unbewußt hin und her, wie immer, wenn die Erregung in
ihr aufzusteigen begann.
Auch heute noch!
Sie wird die Einladung
annehmen, sie wird Venedig wiedersehen, die Perle der Adria. Sie wird die Calle
Modena durchstreifen, den Balkon suchen auf dem sie saß und vielleicht
.........
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