Montag, 10. Oktober 2016

DER ZERBROCHENE ENGEL, mystisch, vampirig



Der zerbrochene Engel
von Joana Angelides 

Bildergebnis für Friedhof engel


Wie in jeder der vergangenen drei Vollmondnächte saß er auch in dieser Nacht auf dem dunklen Stein des Mausoleums in der Ecke des Friedhofes und starrte auf den weißen Marmorengel hinüber.
Seine Gestalt faszinierte ihn, die Reinheit im Gesichtsausdruck forderte seine Fantasie heraus.


Der Mond wurde nun teilweise von vorbeiziehenden dunklen Wolken verdeckt und die Schatten wurden dichter.

Er wußte, es waren nur noch einige Minuten bis Mitternacht und dann war es soweit. Vom nahen Kirchturm tönten die zwölf Schläge in die Nacht. Der Engel bewegte sich plötzlich und senkte die Arme, die sonst immer wie schützend über dem Grab unter ihm ausgestreckt waren. Es war eine Skulptur aus Marmor, mit langem gelockten Haar und einem wallenden, faltigen Umhang.

Der Engel setzte sich auf die Grabumrandung und schlang seine Hände um die Knie, als würde er sich ausruhen wollen.

Aus der dunklen Ecke rechts glitt der dunkle Schatten heraus und positionierte sich hinter ihm.

Seine linke Hand reckte sich aus dem schwarzen, rot ausgeschlagenen Umhang hervor und berührte den Engel an der Schulter. Dieser sprang auf und starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit.
Die Gestalt hinter ihm verschmolz fast mit den Schatten der Grabsteine und des Baumes, der dahinter seine Zweige ausbreitete.

„Wer ist da?“ Die Stimme war ängstlich, belegt und ein wenig schrill.

„Nur ich, ein Freund, habe keine Angst!“ Durch das Ausbreiten seiner beiden Hände wurde der Umhang geöffnet und das blutrote Futter leuchtete fast drohend. Dieses Rot war beängstigend, es war am Friedhof ungewohnt.

„Nein, laß mich los, ich kenne dich gar nicht, sah dich hier noch nie!“

„Ich bin jede Nacht hier, ich sitze da drüben“, er deutete in die dunkle Ecke neben dem Mausoleum, „und bewundere dich jede Nacht. Ich liebe die Art, wie du deine Haare trägst, ich bewundere deine zarte Gestalt, wie sie sich durch den in Marmor gemeißelten Faltenwurf durchdrückt, als würdest du atmen!“

„Höre auf, ich will das gar nicht hören“, der Engel streckte beide Arme abweisend nach vorne.

Doch die dunkle Gestalt wich keinen Zentimeter zurück. Er wußte was er wollte. Er wollte diesen wunderschönen Engel nie wieder an den kalten Marmor verlieren, er mußte diese Stunde nutzen, ihn in seine Welt herüber zu retten.
Diese Stunde, Mitternacht am Gottesacker, lockte nicht nur den Engel aus der Erstarrung, es waren auch andere dunkle Gestalten unterwegs, die sie beobachteten, um sie herumschlichen. Man hörte leises Flüstern, hüsteln aus dunklen Umhängen, bleiche Gesichter und lange dünne Finger, die diese Umhänge hielten. Gierige Augen bohrten sich in die weiße unschuldige Gestalt, als wollten sie sie aufsaugen.

Er stelle sich hoch aufgerichtet vor den verängstigten Engel, seine Arme waren nach rückwärtsgerichtet, als wollte er die Gestalt an sich pressen und verdecken.

Inzwischen hatte sich der Engel ganz bis zu dem Grabstein zurückgezogen und kauerte erschrocken am Kopfende des Grabes.

Viele dunkle Gestalten umringten die beiden und es drangen Zischlaute, höhnisches Lachen und drohendes Gemurmel herüber. Die schwarzen Vögel des Friedhofes krächzten erschrocken und mancher flog tief, quer über die gespenstige Szene

„Geht weg, verschwindet!“ Er schrie es laut und mit hoher Stimme.
Der Engel begriff nicht, was geschah. Doch es machte sich das trügerische Gefühl in ihm breit, dass er von dieser hohen, dunklen Gestalt, die ihm vorher Furcht eingeflößt hatte, nun beschützt wurde.
Er richtete sich auf und suchte hinter dem breiten Umhang des vor ihm stehenden, Schutz.

Das Gefühl die ihm die hinter ihm zitternde Engelsfigur vermittelte, der mit fliegendem Atem an ihn gepreßter Körper, gab ihm Kraft und mit einer raschen, wilden Bewegung verscheuchte er die dunklen schwebenden Gestalten rund um sie und drehte sich rasch um.

Nun blickten sie sich direkt in die Augen, der weiße Engel und der Vampir mit seinen brennenden Augen in den dunklen Höhlen.
Seine schlanken, fast dünnen Finger glitten in die herabfallenden Haare, zogen das Gesicht ganz nah heran und bevor der Engel begriff was geschah, neigte der Vampir seinen, in der Kapuze fast verschwundenen Kopf und glitt zu dem weißen Hals, der sich ihm nun offen dar bot.

Es war nur ein kurzer Schmerz, dem ein wohliges Gefühl folgte. So fühlte es sich an, wenn ein wenig warmes Blut langsam am Hals entlang herabfließt. Es waren jene Tropfen, die sein gieriger Mund nicht auffangen konnte.
Der Engel konnte sich kaum bewegen, nicht verhindern, dass der Lebenssaft aus ihm herauslief.
Seine Seele, die nur für diese eine Stunde erwachen sollte, löste sich von ihm und ging über in schwarze Schleier, die sich zu einer durchsichtigen dunklen Gestalt formten.
Als die nahe Kirchturmuhr Ein Uhr schlug, war die Symbiose abgeschlossen, triumphierendes Lachen der dunklen Gestalt weit in die Nacht zu hören.

Er ließ die marmorne, steinerne Gestalt los. Sie fiel zu Boden und zerschellte in viele Stücke.



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