Das Gesteck
von Joana Angelides
Sie stand einen
Moment lang bewegungslos in der halb
geöffneten Türe, das Licht im Rücken und zögerte einzutreten.
Ihr Körper war
schlank und wurde von einem eng
anliegenden, halblangem Kleid in schwarz mit beige farbenen Streifen, äußerst
vorteilhaft betont.
Mein geschultes Auge
für Stoffe und deren Verarbeitung erkannte den edlen Schnitt und die äußerst
penible Anordnung der Streifen sofort und ich wusste, hier stand eine Dame von
Welt, die auch wusste was sie wollte.
An diesem Morgen war
sie die erste Kundin und ihre Anwesenheit
unterbrach auf angenehme Art und Weise die Stille, obwohl sie bisher
kein Wort gesprochen hatte und nur so dastand.
Es gab Menschen, die
durch ihre bloße Anwesenheit einen Raum völlig ausfüllen konnten und sofort
jegliche Aufmerksamkeit an sich zogen; sie gehörte offensichtlich dazu.
Ich machte einen
Schritt nach vor und eine einladende Handbewegung. Ich wollte sie nicht wieder
gehen lassen, sie faszinierte mich.
Sie nahm die
Aufforderung an und kam langsam und ein wenig zögerlich weiter in den Raum. Das
kleine Glockenspiel an der Türe begleitete sie und zum ersten Male fiel mir
auf, wie melodisch es klang.
Meinen Gruß erwiderte
sie mit einem kleinen Nicken des Kopfes und dann wandte sich den auf dem Tresen liegenden Stoffballen zu.
Ich konnte ihre Augen nicht sehen, sie trug einen breitkrempigen Hut, der ihr
halbes Gesicht bedeckte.
„Wenn sie mir sagen,
was sie suchen, kann ich ihnen helfen“, ich musste mich räuspern, anscheinend
hatte ich einen Kloß im Hals.
Sie hob ihre Hand und
machte eine unbestimmte Bewegung, dann öffnete sie ihre große Handtasche,
stellte sie auf den Tresen und nahm ein Stück Stoff heraus. Er war blau und aus
feinster Seide, wie mein Kennerblick sofort feststellte. In Stoffen kannte ich
mich aus, auf einen Blick konnte ich die Qualität bestimmen. Es lag immer
daran, wie ein Stoff in der Hand lag, oder
wie sich der Faltenwurf bewegte,
auf den Glanz oder die Webart.
„Ich benötige Stoff
für ein Kleid, in dieser Qualität und in der Farbe hiezu passend. Es soll ein Kleid für einen
ganz besonderen Anlass werden, chic und
zeitlos. Das Muster hier ist von einem
bereits vorhandenen Jäckchen meiner
Großmutter, ein Nostalgiestück! Ich will dieses Kleid lange tragen und es soll meiner Figur
schmeicheln. Nur reine Seide, die sich nicht verdrückt“, sie lächelte „für die
Ewigkeit bestimmt, sozusagen!“
Ihre schlanken Finger
ließen das Stoffmuster auf die glänzenden Platte des Tresen gleiten und zum
ersten Mal hob sie den Kopf etwas und ich konnte in ihre Augen sehen.
Es waren große, ein
wenig schräg geschnittene grüne Augen mit braunen Punkten darin, halb
beschattet durch unglaublich lange Wimpern.
Ihr Gesicht war
schmal und sehr blass, die etwas hoch stehenden Backenknochen waren dezent mit
Rouge bedeckt, ebenso der Mund. Sie hatte die dunklen Haare zu einem Knoten im
Nacken gebunden, sodass der Hut etwas nach vorne gerückt schien.
Ich bemerkte
erschrocken, dass ich sie unentwegt anstarrte.
Sie musste meinen
starren Blick bemerkt haben, denn sie senkte
ihren Kopf wieder, sodass die,
mit drei Rosen verzierte Krempe ihres Hutes
nur mehr ihren fein nachgezeichneten zartrosa farbenen Mund frei gab.
„Oh, da werden wir
sicher etwas finden“, meine Stimme zitterte doch nicht?
Ich nahm das
Stoffmuster in die Hand und stellte fest, dass ich mich betreffend die Qualität
keinesfalls geirrt hatte, es war reinste Seide. Mein Blick glitt über die
Regale hinter mir und blieb an einer Reihe von Stoffballen hängen, die in der
Qualität und vielleicht auch in den Farben
passen könnten.
„Darf der Stoff auch
ein Muster haben, oder soll er uni
sein?“
Ich drehte mich zu
ihr hin und fühlte ein Gefühl von Schwindel, der mich erfasste, so faszinierend war der Anblick ihrer Gestalt.
Sie hatte sich am
Ende des langen Tisches leicht angelehnt, die Hüfte eingeknickt und ihren Kopf seitwärts gebeugt. Das Sonnenlicht
trat durch die Auslage in den Raum und umschloss ihren Körper wie eine
sichtbare Aura. Ich hatte solche Erzählungen darüber bisher nur als Einbildung abgetan, doch zum ersten
Mal in meinem Leben bemerkte ich selbst eine solche Aura bei einem Menschen. Sie war wie ein sie
umgebender Strahlenkranz und schien aus fließendem Gold zu sein.
Sie war
offensichtlich in Gedanken versunken, denn sie erschrak ein wenig und richtete
sich auf.
„Ohja, er kann ruhig
ein dezentes Muster haben. Vielleicht in
sich gemustert, in derselben Farbe?“
Mein Blick glitt
suchend über das Regal und ich fand einen Ballen mit grüner, dunkler Seide. Er
war mit kleinen, unregelmäßig verstreuten Dreiecken bedeckt, die je nach
Bewegung andersartig glänzten. Das dunkle Grün passte wunderbar zu dem
ebenfalls dunklen Blau des Musters, aber besonders zur Farbe ihrer Augen.
Ich legte den Stoffballen auf die Platte des Tisches
und streute gekonnt elegant einen Teil des Stoffes über die Fläche.
Sie griff danach und
betrachtet den Stoff eingehend und interessiert.
„Ja, er gefällt mir,
es ist sogar meine Lieblingsfarbe, “ sie nickte zustimmend und ließ den Stoff
über ihre Hand gleiten, „hier ist eine Notiz meiner Schneiderin, bitte
schneiden sie mir genau nach diesen Angaben den Stoff herunter.“
Besonders
liebevoll faltete ich den Stoff und
stelle mir vor, wie er ihren Körper umfließt,
wie er jede ihrer Bewegungen betonen wird. Stellte mir auch vor, wie
elektrisierend es sein musste, sie eingehüllt in diesen kostbaren seidenen
Kokon, zu umarmen!
„Sie machen auf
Bestellung auch passende Blumengestecke aus den Stoffen? Kann ich da gleich
eines bestellen? Aber es muss genau am
25.Juni um 12.ooh Mittag geliefert werden! Es soll eine Überraschung werden! “
„Ja natürlich! Wenn Sie sich hier etwas
aussuchen...“ Ich legte ihr einen
Katalog mit Blumengestecken für Kleider, Mäntel und Hüte vor.
Sie studierte jede
Seite genau und suchte sich dann ein
sehr aufwendiges Gesteck aus.
Eigentlich zu groß für ein Kleid und für meinen Geschmack. Doch
einerseits ist der Kunde König und andererseits, wenn ich es mir so überlegte, musste es doch wunderbar
zu ihr und dem Kleid passen.
Als sie bezahlte,
überreichte sie mir auch ihre
Visitenkarte und schrieb auf die Rückseite eine Adresse dazu.
„Die Lieferung des
Gesteckes muss an diese Adresse erfolgen und persönlich zu meinen Händen
erfolgen! Bitte beachten Sie genau meine Anweisungen, es ist äußerst wichtig!“
„Ja, natürlich. Ich
werde das Gesteck zum gewünschten Termin wie gewünscht liefern! Ich danke für
Ihr Vertrauten und würde mich freuen, wenn ich Sie weiterhin als Kundin
bedienen dürfte!“
Ohne darauf näher
einzugehen, streckte sie mir ihre schlanke Hand hin und ich hauchte einen
zarten Kuss darauf. Ihre Finger waren kalt und übten nur einen leichten Druck
aus.
Sie verließ den Laden
und hinterließ einen zarten Duft nach verblühenden Rosen, der sich noch lange
hielt. Das Glockenspiel der Türe klang
diesmal nicht mehr so melodiös, als vorher. Anscheinend bedauerte es auch, dass
sie ging.
Ich schüttelte den
Kopf über solche unsinnige Gedanken und rollte den restlichen Stoff auf den
Ballen, nicht ohne vorher die im Katalog angegebene Menge für das Gesteck
herunter zu schneiden. Meine Hände liebkosten noch eine Weile den Stoff und ich
träumte wieder von einem wundervollen Körper, der von ihm umschmeichelt und
umflossen wird.
Gewissenhaft trug ich
den Termin für die Lieferung in meinen Kalender ein und füllte die Order für
das Gesteck aus. Ich schrieb ihren Namen darauf und stellte fest, es war ein
wundervoller Name und er passte genau zu ihr.
Die angegebene
Lieferadresse kam mir bekannt vor, ich konnte sie jedoch nicht einordnen.
In den folgenden
Tagen wurde ich immer wieder an sie erinnert, denn ich hatte ihre Visitenkarte im Kassenfach
deponiert und so fielen meine Blicke immer wieder darauf.
Bereits zwei Tag vor
dem gewünschten Liefertermin langte das Gesteck bei mir ein und ich ließ es auf
dem Tresen liegen. Es war in einer steifen, durchsichtigen Hülle verpackt und
so konnte ich mehrmals am Tage meine Blicke drüber streifen lassen. Jedes Mal
liefen angenehme Schauer über meinen Rücken.
Es war sehr füllig
ausgefallen, die kleinen weißen Perlen der Staubgefässe in den Blüten
leuchteten und die Goldfäden, die sich aus dem Dickicht der Blätter erhoben
zitterte manches Mal, wenn ich vorüber ging.
Der Morgen des
25.Juni war grau und regnerisch. Ich legte das Gesteck auf den Beifahrersitz
meines Wagens und machte mich auf den Weg. Die angegebene Adresse lag etwas
außerhalb der Stadt und der Verkehr wurde immer schwächer. Als ich in die
angegebene Straße einbog, wusste ich sofort, wieso mir die Adresse so bekannt
vorkam.
An dieser Adresse
befand sich ein Friedhof. Ich fuhr an den Straßenrand und stellte fest, dass
gerade ein Begräbnis stattfinden musste.
Da es aber bereits fünf Minuten vor dem angegebenen Termin war, beeilte
ich mich mit dem Gesteck den kleinen Weg hinauf zu kommen.
Ein schwarz
gekleideter Ordner kam mir geradewegs entgegen und wollte mir das Gesteck
abnehmen.
„Nein, ich bin kein
Trauernder, ich suche diese Frau, sie hat mich herbestellt und ich soll es nur
ihr persönlich übergeben!“ Gleichzeitig streckte ich ihm die Visitenkarte
entgegen.
Er las langsam den
Namen, blickte mich erstaunt an und bedeutete mir dann, ihm zu folgen.
Wir gingen geradewegs
in die Leichenhalle hinein. Sie war bis auf den letzten Platz besetzt und leise
Orgelmusik hatte bereits eingesetzt. Mir fiel sofort der morbide Geruch nach
verblühenden Rosen auf, der sie schon bei ihrem Besuch in meinem Geschäft
umgab.
Der Geruch musste von
den vielen Rosen kommen, die an den Wänden und im Raum verteilt waren. Es war
jener schwere, intensive Geruch, den Rosen immer verströmten, wenn sie zu
verblühen begannen.
Er winkte dezent
einen Mann herbei, flüsterte ihm etwas ins Ohr und ging wieder hinaus.
Ich hatte noch immer
das Gesteck in der durchsichten Hülle in der Hand und mein Blick suchte meine
Kundin in der Tiefe der Leichenhalle. Vergebens.
„Kommen Sie mit!“
Sprach der Mann mit leiser Stimme und führte mich durch den Mittelgang ganz
nach vorne und weiter zum offenen Sarg.
„Hier liegt die Dame,
die sie suchen!“ Seine Stimme klang erstickt und heiser.
Ich blickte in den
Sarg und da lag sie. Bleich und starr, die Augen geschlossen, die wundervollen langen Wimpern lagen wie
Halbmonde auf ihren bleichen Wangen. Der Mund war leicht rosa angehaucht. Das
Haar war offen und lag auf beiden Seiten ihres Gesichtes, über das weiße Polster fließend.
Sie hatte die Hände
gefaltet und sie erschienen mir noch zarter und durchsichtiger, als bei unserer
Begegnung. Das Grün des Kleides harmonierte wundervoll mit dem dunklen Blau des
Jäckchens, der Stoff umfloss ihre Gestalt und spiegelte den Glanz der, den
Sarg umgebenden Kerzen wider. Ihr Körper
war ringsum von Rosen umgeben, als würde sie auf ihnen schwimmen.
Im Raum war es sehr
still, es war nur leises Weinen oder Schluchzen aus den Reihen hinter mir und
die leise Orgelmusik zu hören.
Der Mann neben mir
nahm mir den Behälter mit dem Gesteck aus der Hand und öffnete ihn. Er
betrachtete es mit großem Erstaunen und zwei Tränen lösten sich aus seinen
Augenwinkeln und rollten langsam an seinen Wangen hinunter. Dann legte er es
zwischen ihre Hände und arrangierte es so, dass es wie ein Brautstrauß aussah.
Er nickte mir dankend
zu und ich fühlte, dass es unpassend war, noch länger hier zu stehen und in den
Sarg zu starren.
Wie betäubt ging ich
den Weg, den ich durch die Leichenhalle gekommen war, zurück und trat mit einem
tiefen Atemzug ins Freie.
Sie hatte offenbar
gewusst, dass sie sterben wird, hatte sich ihr Totenkleid selbst ausgesucht und
sogar das Datum und die Uhrzeit ihres Begräbnisses im Voraus gewusst!
Das Gesteck war ihr
letzter, persönlicher Wunsch und bedeutete ihr anscheinend sehr viel.
Das Geschehene war
mir unerklärlich und wird es wohl für immer bleiben.
Ich hatte noch immer
die Visitenkarte in meiner Hand, doch sie entglitt mir und fiel in das
fließende Wasser des Rinnsteines. Ich sah sie langsam davon schaukeln.
Schade, es war so ein
schöner Name!
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von Joana Angelides
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