Auch Engel fahren manchmal U-Bahn
von Joana Angelides
v
Der Engel sitzt in
der voll besetzten U-Bahn und betrachtet so die Menschen rund um ihn.
Er überlegte, welcher
von den Fahrgästen wohl heute Nacht Sex hatte und welcher nicht. Er glaubte es
an den Lichtern in ihren Augen erkennen zu können. Doch heute konnte er bei
keinem der stumm und teilnahmslos dasitzenden Fahrgäste ein solches Licht
erkennen.
Woran konnte das wohl
liegen?
Vielleicht gab es
schon welche die Sex hatten, aber es war keine Befriedigung dabei gewesen. Ja,
das konnte ein Grund sein. Dann war es eigentlich kein Sex, sondern Abspielen
von Pflichtritualen und der Beginn von Frust und Abneigung.
Oder waren die Menschen
einfach desinteressiert, gab es nichts das sie an den neben ihnen liegenden
Körpern reizte?
Er sollte das
erforschen, das war sein Auftrag. Man wollte ganz oben, dass die Menschen
glücklich sind. Man wollte die Ursachen für die seelischen Probleme der
Menschen erfassen und im großen Buch niederschreiben. Doch wie fängt man das
an?
Der Engel beschloss,
einmal die Probe aufs Exempel zu machen, sozusagen „learning by doing“!
Rein wissenschaftlich
natürlich, zur Erforschung der Menschen. So wird es jedenfalls in seinem
Bericht, den er jede Woche abgeben muss, drinstehen. Irgendeine Begründung sollte
man ja für jedes Tun haben, Oder?
Der Engel war in
Gestalt einer jungen verführerischen Frau auf seinen Erkundungstrip gegangen.
Diese Frauengestalt hatte einen engen Overall an, sehr figurbetont und lässig.
Ihr gegenüber saß ein
junger, träumerisch wirkender junger Mann mit einem sympathischen Lächeln.
Sie hatte die beiden
obersten Knöpfe des engen Oberteiles geöffnet und so konnte man den Brustansatz
sehen. Der junge Mann vermutete, dass sie keinerlei Unterwäsche darunter trug.
Was ja auch stimmte.
Man konnte die
kleinen Erhöhungen, die die Brustspitzen durch den weichen Stoff erahnen
ließen, sehen. Wenn sie sich bewegte, dann schoben sich die beiden Brüste hin
und her und er vermeinte einen süßen aromatischen Duft, vermischt mit dem Duft
der Frauen allgemein, zu verspüren.
Eine unglaubliche
Lust stieg in ihm auf sich vornüber zu beugen, auch die restlichen Knöpfe des
engen Oberteiles aufzuknöpfen und mit den Fingerspitzen ihre Brustspitzen zu
berühren und ihre Reaktion darauf zu sehen.
Doch er wußte, das
Einzige was er machen konnte war, die junge Frau wie zufällig zu berühren. Er
rutsche am Sitz etwas weiter nach vorne und berührte mit seinen Knien, ihre
Knie. Sie musste es spüren, doch war ihr keine Reaktion anzusehen. Sie schaute
weiter nach rechts oder links und ließ es geschehen. Seine anfängliche Verwunderung
schwand und machte einem von sich weg strömenden Gefühl Platz. Dieses Gefühl
strömte durch ihn hindurch, durchzog wärmend seine Lenden und bewegte sich
kribbelnd die Schenkel hinab, um dann dem Druck nachgebend, sich bahnbrechend
in die, nun spürbaren Gegendruck ausübenden Knie seines Gegenübers zu ergießen.
Er wurde unruhig. Wie sollte es nun weitergehen? Er konnte sich ja schlecht
nach vorne beugen und seiner Intention nachgebend, ihr Oberteil aufknöpfen?
Auch konnte er nicht erwarten, dass sie sich zu ihm herüber beugen würde und
ihrerseits irgendwelche strategisch wichtigen Knöpfe öffnen würde. Immerhin war
die U-Bahn voll besetzt. Es war Rushhour.
Er heftete nun seinen
Blick auf ihr Gesicht und hoffte, einen Blick ihrer, unter den Lidern halb
verdeckten Augen zu erhaschen. Es schien ihm, als würde sie ihn aus dem
Augenwinkel heraus auffordernd ansehen. Dieser flüchtige Blickkontakt erzeugte
in ihm eine Explosion von tausend Sternen, elektrisierte ihn und ließ ihn
erzittern.
Wird alles in meinen
Bericht stehen, in aller Unschuld natürlich, dachte der Engel und lächelte
verschmitzt.
Und scheinbar meinte
es auch das Schicksal mit dem jungen Mann gut. Mit einem plötzlichen Ruck blieb
die U- Bahn stehen. Alle Fahrgäste wurden durcheinandergewirbelt und sein
Gegenüber fiel wie zufällig auf ihn.
Wozu hat man
schließlich Verbindungen zu den höchsten Stellen?
Er spürte ihren
warmen Körper auf dem Seinen, ihr Duft raubte ihn fast den Verstand und seine
Hände griffen abstützend nach ihr. Wie zufällig umfassten seine Hände ihre
Brüste und er spürte die Härte ihrer Brustspitzen. Er spürte wohltuend ihren
Körper auf dem seinen. Sie hatte sich fallen lassen und lag nun weich und sich
anschmiegend auf ihm. Er hatte seine Körperfunktionen nicht mehr unter
Kontrolle und erlebte in diesem Augenblick einen Höhepunkt, der sich in schon
lang vermißter Intensität ergab. Ein kurzes Anschmiegen des weiblichen Körpers
über ihm und sie richtete sich auf.
Halb über ihm gebeugt
flüsterte sie:
„Fahren Sie öfter mit
diesem Zug?“
Er konnte nur mehr
Nicken, dann waren sie in die Station eingefahren und der Engel stieg mit den
anderen Fahrgästen aus.
Er sah ihr hinterher.
Wieso leuchtete ihr Haar, als wären tausend kleine Sternchen drin, und um ihre
Gestalt nahm er einen leichten Schleier wahr, der wie eine Aura wirkte.
So stelle man sich
Engel vor, dachte er und lächelte.
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