Die Schatten hinter dem Licht
von Joana Angelides
Der graue Wolf war
wieder da. Er hörte ihn um das Haus herumschleichen und manchmal an der
Rückseite des Hauses am Holz kratzen.
Es war ein einsamer
Wolf, ohne Anschluß an ein Rudel und sicher halb verhungert. Entweder war er
verletzt oder zu alt um Selbst etwas zu reißen. Er kam nur nachts im Schutz der
Dunkelheit. Bei Tage konnte er jedoch seine Anwesenheit im Dickicht des Waldes
spüren.
Er warf ihm hin und
wieder ein paar Fleischstücke oder Innereien der erlegten Tiere zur
Wassertränke hin. Doch der Wolf wagte sich bei Tage nicht heran, er kam immer
in der Dämmerung, wenn die Konturen verschwommen und er fast mit den Schatten
verschmolz. Im Gegensatz zur allgemeinen Meinung, war der Wolf ein scheues ängstliches
Tier und fürchtete sich vor dem Menschen. Nur im Rudel fühlte er sich stark.
Bisher hatte er ihn
noch nie in seiner vollen Gestalt gesehen, er sah ihn als Schatten an der Wand
der Hütte, oder gerade noch seine Rute mit dem hinteren Lauf im Dickicht
verschwinden, wenn er sich die Fleischstücke geholt hatte. Niemals fraß er es
an Ort und Stelle.
In den letzten
Vollmondnächten war sein Heulen laut und schauerlich durch den Wald zu hören.
Es klang wie Wehklagen eines unendlich traurigen und verletzten Tieres.
Was wird wohl aus
ihm im Winter werden, wenn die Hütte verlassen und rundherum eine dicke
Schneedecke alles Leben erschweren wird?
Er schüttelte den
Kopf und schlürfte aus seiner dicken Keramikschale den Tee und schaute ins
Feuer. Es knisterte, kleine Funken sprangen heraus und verglühten vor dem Kamin
am Steinboden.
Er fühlte eine
Seelenverwandtschaft mit dem einsamen grauen Wolf, obwohl dieser eindeutig im
Nachteil war. Er hatte keinen sicheren, warmen Platz in kalten, windigen
Nächten, hatte keine schützende Höhle, wie er selbst. Doch die Einsamkeit war
eine Gemeinsame. Diese Einsamkeit, die wie eine tiefe Höhle war und immer
weiter in den Berg der Bedrückung hineinführte und kein Ende zu haben schien.
Rufe, geschickt in die Dunkelheit, wurden verschluckt und kein Echo kam zurück.
Er stellte die
Schale mit dem restlichen Tee wieder weg, nahm seinen Mantel und ging hinaus.
Die Nacht war kalt, der Himmel wolkenlos und klar und die runde Scheibe des Mondes am Himmel schien, je länger er sie ansah, immer größer zu werden.
Die Nacht war kalt, der Himmel wolkenlos und klar und die runde Scheibe des Mondes am Himmel schien, je länger er sie ansah, immer größer zu werden.
Der Wald schien
beweglich. Die Schatten wurden durch die bewegten Äste und Zweige der Bäume
unruhig hin und her geworfen und zeichneten dunkle, fließende Konturen in das
Moos.
Da, bewegte sich
hier nicht nur der Schatten, sondern auch der Baum? Plötzlich schien der Wald zu leben. Was war
es nur, dass ihn unwiderstehlich in den Bann dieses Waldes zog? War es die
plötzliche Bewegung, die vermeintlichen Gestalten zwischen den Stämmen, die
Möglichkeit von Gesellschaft in dieser Einöde, die er nun schon seit Wochen
ertrug?
Er verdrängte die
aufsteigenden Bedenken, den kleinen Rest von Angst und die angeborene Vorsicht
und wagte sich tiefer hinein in das leise raunende, flüsternde Dickicht.
Plötzlich stand er
vor ihm, dieser einsame graue Wolf und blickte ihn mit seinen hellen Augen
ruhig an und machte kehrt und ging tiefer in das Gehölz. Nach einigen Metern blieb er stehen und
drehte sich um, um zu sehen, ob er ihm auch folgte. Der Mann verspürte einen
inneren Zwang, es war wie eine Aufforderung ihm zu folgen und er konnte sich
dagegen nicht wehren.
Immer tiefer und
tiefer drangen sie beide vor und standen plötzlich vor einer Lichtung mit einem
kleinen See, den er noch nie gesehen hatte.
Ein großer, hagerer
Mann trat aus dem Schatten eines Felsens hervor und streckte ihm die Hand
entgegen.
„Kommen sie, ich
zeige ihnen unser Reich. Hier schöpfen wir Kraft und Licht.“
„Licht?“ Stammelte
er.
„Ja, das wenige
Licht, das wir brauchen nehmen wir aus dem See. Es ist das Mondlicht, das sich
auf dem See spiegelt. Wir nehmen es auf und streuen es um uns herum!“
Er bewegte sich auf
das Wasser zu und es schien als würde er über das Wasser gleiten, bückte sich
und nahm tatsächlich mit seinen Armen Licht auf und streute es ans Ufer.
Es war ein bleiches,
silbernes Licht, das sich auf der Wiese ausbreitete und matt einige Felsen
beleuchtete und dadurch wurden die im Dunkeln an die Felsen gelehnten Gestalten
sichtbar. Sie blickten ihn an und er
hatte das Gefühl, sie schon lange zu kennen. Sie erhoben sich und umringten
ihn. Ohne dass er es verhindern konnte, faßten sie ihn an, berührten seinen
Kopf, seine Arme und lächelten ihn an.
„Wir sind seit
Jahrhunderten hier. Es ist unser Wald. Früher gehörte dieser Wald den Druden
und Hexen, doch wir haben ihn vor langer Zeit erobert. Bleibe bei uns, wir
führen dich zurück in die Vergangenheit, wir zeigen dir eine wunderbare Welt,
werde einer von uns!“
Er fragte sich ob
er zu ihnen gehörte, ob er zu ihnen gehören wollte. Es wäre eine Gemeinschaft,
die ihn scheinbar mit offenen Armen aufnahm. Doch er wußte auch, der Weg zurück
war versperrt.
In seinem Brustkorb
entstand ein Ziehen, süß und schmerzhaft zugleich. Er spürte, wie sich sein
Körper zu wiegen begann und gleichsam von einer Gestalt zur anderen gebogen
wurde. Es umschmeichelten ihn leise Sirenentöne und er wiegte sich einmal in
den Armen dieser oder jener fast durchsichtig scheinenden lockenden Körper der
Frauen unter den Anwesenden. Ihre Lippen liebkosten seinen Hals, gleichzeitig
faßten seine Hände nach Schleiern und wallenden Haarmähnen. Sein Blut rauscht
im Rhythmus der sich bewegenden Masse. Sein Körper fühlte sich schwerelos an
und er verspürte plötzlich den Wunsch, diesem Zustand verhaftet zu bleiben für
alle Ewigkeit. Willig überließ er seinen Körper dem zwingenden Tanze der sich
an ihn schmiegenden, biegsamen Körper.
Er spürte die
Vereinigung seines Blutes mit dem Blut der schwebenden Körper kaum, es war ein
nahtloser Übergang von einer Existenz in die andere. Das Heulen des grauen Wolfes
drang über den See durch den Wald und erreichte die Scheibe des Mondes, die
zitternde Lichter über den See schickte.
Er wußte am Ende
dieser Nacht, dass er nie wieder hinab ins Tal steigen wird.
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