Augustliebe
v. Joana Angelides
Das einzige Geräusch war das
Summen der Bienen.
Die
innere Unruhe schien langsam einer müden Trägheit zu weichen. Er lag rücklings
im Gras und blickte den langsam dahin wandernden weißen Wolken nach. Sie
erschienen ihm wie Schiffe, die im tiefen
Blau des Himmels ihren Weg suchen und dann in der Unendlichkeit
verschwinden. Sie veränderten die Form
ständig, um sich nach einer Weile ganz aufzulösen.
Man
sollte hier liegen bleiben können, sich integrieren in die Natur, ganz mit ihr
verschmelzen, sich ihren Gesetzen
unterwerfen.
Wie
war es denn vor vielen Jahren in den Sommerwochen hier hinter dem Haus, vor
langer, langer Zeit?
Er
erinnerte sich plötzlich an blondes Haar, blaue strahlende Augen, oder waren
sie grün, mit braunen Punkten? An Lachen, an Laufen am Flußbett entlang.
Atemloses Innehalten, Anlehnen an einen Baum, dem Geruch der Erde.
An
das Feld mit den Sonnenblumen. Sie wuchsen und wuchsen und ihre gelben
Strahlenkränze mit den Blumenkernen in der Mitte wurden immer schwerer und
schwerer. Sie wussten, wenn sie eines Tages abgeerntet werden, dann ist der
Sommer vorbei.
Wie
lange war das her, es schien ihm, als wäre es in einem anderen Leben gewesen zu
sein.
Sie
versprachen sich, sich nie zu trennen, sie bastelte kleine Ringe aus Gras, die
sie sich dann gegenseitig ansteckten. Sie wollten den Zauberwald finden, über
den Regenbogen laufen. Sie versprachen sich ewige Liebe. Sie waren beide
inzwischen dreizehn.
Wie
lange war das her!
Die
einprägsamsten Erlebnisse fanden im August jenes Jahres statt, in welchem sie
sich zum letzten Mal sahen. Ihre Eltern kamen immer nur im August hierher und
brachten die ganze Familie, von den Großeltern bis zu einer alten
unverheirateten Tante und den Hund, mit.
Sie waren so damit beschäftigt, das alte Sommerhaus bewohnbar zu machen, dass
sie ganz vergaßen sich darum zu kümmern, was die Kinder eigentlich den ganzen
Tag trieben. Hauptsache, sie waren zu den Mahlzeiten anwesend und das ohne
irgendwelche Verletzungen.
So
kam es, dass sie sich täglich schon am Morgen trafen und den ganzen Tag, nur
von den Mahlzeiten unterbrochen, durch
die Umgebung streifen konnten.
In
der alten Scheune eines aufgelassenen Sommerhauses erforschten sie sich
gegenseitig, entdeckten Gefühle und Reaktionen, die ihnen einzigartig
erschienen, nur von ihnen beiden so
empfunden.
Der
Abschied vom Sommer war in jenem Jahr
schwerer.
Sie
wohnten nicht in derselben Stadt, sie wollten sich schreiben, doch irgendwie
kam es nicht dazu. Er verlor die Adresse, der Alltag überrollte alles.
Im
nächsten Sommer wartete er schon ungeduldig auf den August. Eines Tages kam ein
Auto, ein hagerer Man stieg aus und befestigte eine Tafel im Vorgarten.
„Zu
verkaufen“ stand darauf. Seine Enttäuschung war groß.
Er
sah sie nie wieder. Er rechnete im Geiste nach. Wie viele Jahre waren seitdem
vergangen?
Es
mußte fünfzig Jahre her sein!
Unglaublich
erschien es ihm, die Erinnerung war so frisch, als wäre es gestern gewesen.
Vom
nahen Kirchturm waren die Mittagsglocken
zu hören und er richtete sich auf.
Er
blinzelte gegen die Sonne, die ziemlich hoch stand. Stand dort nicht jemand, an
den Baum gelehnt und blickte zu ihm herüber?
Er
stand auf und beschattete seine Augen.
Ja,
da stand eine kleine zierliche Gestalt, mit einem Strohhut in der Hand und
blickte ihn an. Er konnte das Gesicht nicht genau sehen, es lag im
Schatten.
Es
drängte ihn, zu erfahren wer dort stand.
Er
mußte näher herangehen.
Dann
stand er vor ihr.
„Du?“
Fragte er ungläubig.
„Ja,
und du bist...?“
Es
war wieder August und sie hatten sich eine Menge, fast ein ganzes Leben, zu erzählen.
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