Der schwarze Tod.
Yersina pestis
Kapitel 1
Wenn unter Städten, die Jahrhunderte Geschichtsträchtiges erlebt haben, sich
Erdschicht auf Erdschicht gebildet hat,
plötzlich mit Baggern und Maschinen eben diese Erdschichten aufgegraben und
abgehoben werden, werden Kräfte frei, die sich das menschliche Gehirn gar nicht
vorstellen kann und auch gar nicht möchte.
In hochmodernen Bürohäusern werden auf dem Reißbrett Pläne und Skizzen
geschaffen, die in die Tiefen dieser niemals toten, nur oberflächlich
schlafenden Unterwelt, das Eindringen
planen, um Tunnels und U-Bahnen zu bauen.
Die Menschen in der pulsierenden österreichischen Hauptstadt Wien hatten
keine Ahnung, welche schrecklichen Kräfte bereit sind, aus den Höhlen und natürlichen Gefängnissen auszubrechen
um sich an der Oberfläche auszubreiten und Tod und Verderben zu bringen. Der
Bau des U-Bahnnetzes weckte diese lauernden Kräfte und dunklen Geschöpfe jäh
aus ihrem Halbschlaf.
Unter dem Dom zu St.Stephan verbergen sich Gewölbe aus frühchristlichen
Zeiten. Gebeine wurden bei Grabungsarbeiten oder Umbauten immer wieder zu Tage
gefördert, sodass sich die Arbeiter aus Aberglauben und Angst oft weigerten
noch tiefer in die unübersichtlichen Gänge und Höhlen vorzudringen.
Bereits im Jahre 1137 n.Chr. wurde der Dom zu St.Stephan urkundlich
erwähnt, doch ergaben spätere Forschungen, dass bereits seit dem Jahre 800. hier eine Kirche bestand, auf deren Grundmauern
dann die heutige Kirche zu stehen kam. Die
Archive der Kirche sind nicht für
Jedermann zugänglich und es ist in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder
gelungen, stattgefundene, unheimliche
Begegnungen oder unerklärliche Ereignisse oder Erscheinungen geheim zu halten.
Manche Menschen vermeinten in mondlosen und stürmischen Nächten Grollen und
Brüllen aus den Tiefen der Katakomben gehört zu haben, manche führten
sogar Todesfälle auf diese Wahrnehmungen
zurück. Es kursieren unzählige, unheimliche und unerklärliche Geschichten und
Sagen bis in die heutigen Tage.
Niemand hörte jemals auf die mahnenden Stimmen von Wanderpredigern, oder
abtrünnigen Mönchen, die behaupteten,
dass das Böse schlechthin tief unter den Gassen und alten Häusern hause
und immer wieder aus Spalten oder Ritzen entwich. Sie predigten Verdammnis und
Tod, Strafe Gottes für gottloses Leben und hielten so die zahlreichen
Geschichten im Bewusstsein der Menschen am Leben. Heerscharen von Ratten und
der Schmutz in den Strassen der Städte taten ihr übriges dazu, um das Ausbrechen von allerlei Krankheiten zu
fördern.
Und so kam es im Jahre 1679 zum Ausbruch der Pest in Wien. Denn das Böse,
eine körperlose schwarze Masse mit unendlich verlängerbaren Armen und gierigen
Fingern, das sich durch die Erde wühlte, verzweifelt Ausgänge und Schächte nach
oben suchte, brach zuerst in der „Leopoldstadt“, einem Vorort der damaligen
Stadt Wien aus, infizierte Ratten und Ungeziefer und schickte die todbringenden
Boten so an die Oberfläche.
Dadurch, dass die Seuche über einen längeren Zeitraum im wahrsten Sinne des Worts, totgeschwiegen
wurde, starben rund 100.000 Menschen
daran; zuerst die Armen und Schwachen,
bis sie dann schließlich auch die Salons und Paläste der Wohlhabenden erreichte
und ausgiebige Ernte machte.
Ärzte schilderten sie in den Annalen
als eine „ Heimsuchung der Menschen mit
Beulen, Drüsen-Karfunkeln, braunen und schwarzen Flecken, riesigen
aufplatzenden Beulen, gefüllt mit stinkendem Eiter und Blut“ Die Menschen in der Stadt waren voll
Entsetzen und in Panik. Noch dazu lagen die Leichen todbringend oft tagelang
auf den Straßen, denn es fehlte
an Siechenknechten und Totengräbern.
Durch die engen Gassen der Altstadt, am Dom vorbei wälzten sich die
Menschenmassen, mit Karren voller Leichen und begruben sie in den vor der Stadt
vorbereitenden Gruben, die eilig ausgehoben wurden. Die Leichen wurden einfach
hinunter gekippt und man eilte davon.
Mit gierigen Armen und geifernden Mäulern wurden die Leichen von den bösen
Kräften und Gestalten der Unterwelt darin aufgenommen und dienten dem Bösen als Nahrung und zur Vermehrung.
In den Nächten, so man sich ins Freie traute, konnte man auf den noch offenen Leichengruben
unheimliche, schwarze Gestalten und Schatten mit funkelnden Augen tanzen sehen
Diese Seuche konnte erst eingedämmt werden, als man begann, die Straßen und
Häuser zu reinigen, keinen Unrat mehr einfach aus dem Fenster zu werfen.
Da mussten sich diese bösen Kräfte wieder in den Untergrund zurückziehen
und auf ihre neue Chance warten.
Es vergingen Jahrhunderte, in denen sie als drohende geifernde Gefahr unter
unseren Füßen lauerten und auf die Gelegenheit, nach oben zu kommen warteten.
Der moderne Mensch verweist diese Dinge natürlich in der Reich der Fabeln
und Sagen und setzt sich über alle Warnungen der Wissenden hinweg. Beim Bau der
geplanten U-Bahn wurden Baumaschinen,
Riesenbagger und Erdbohrer eingesetzt und die Erde unter großem Getöse und
intensiven Erschütterungen aufgewühlt.
In dem auftretenden Lärm und dem Getöse gingen das Fauchen und Stöhnen dieser
unterirdisch lauernden Bewohner der Stadt unter.
Im Zuge der Bauarbeiten entstand vor dem Dom ein riesiger Krater von ca. dreißig Metern
Tiefe oder mehr. Es wurden Tonnen von Erde nach oben geschafft und mit ihr
Extremente der Ratten und anderem Getier und Gewürm. Aus den entstandenen
Erdspalten drang Ekel erregender Gestank in diese Luft und wurde von den
Männern eingeatmet.
Auch als aus einem tiefen Hohlraum ein Heer von Ratten entwich, sich auf
die Männer in den Overalls stürzten, wurden sie mit den modernsten Mitteln der
Schädlingsbekämpfung getötet oder scheinbar vertrieben. Das Einzige was
geholfen hätte, wäre Feuer gewesen, das wurde unterlassen! Rundum gingen die
Menschen ahnungslos ihren Geschäften nach, saßen in den Kaffees und plauderten
über Belangloses, während über ihnen der Hauch des Todes seine Bahnen zog.
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Kapitel 2
Erschrocken fuhr Sabine in die Höhe. Das Telefon läutete ausdauernd und
furchtbar laut.
Sie blickte auf die Uhr neben sich. Es war kurz nach zwei Uhr morgens.
Im Halbschlaf griff sie nach dem Telefon.
„Ja, wer stört?“
„Sabine, hier ist Robert. Ich brauche Deine Hilfe!“
„Weißt Du, wie spät es ist? Hat das nicht Zeit bis morgen früh?“
„Nein, wir stehen vor einer Katastrophe, tausende Menschen sind gefährdet
und es soll vertuscht werden.“
Sabine war inzwischen hellwach geworden, hatte das Licht angemacht und saß
am Bettrand. Warum überraschte sie dieser Anruf nicht wirklich? Es klang ganz nach Robert, immer dramatisch,
immer enthusiastisch und immer übereifrig. Ein engagierter Journalist, der aber
auch immer wieder in neue Schwierigkeiten
taumelte.
„Robert, bist Du schon wieder dabei, etwas aufzudecken? Aber um Gottes
Willen, wozu brauchst Du da mich, und noch dazu so mitten in der Nacht?“
„Was weißt Du über die Pest?“
„Die Pest? Bist du verrückt, hast Du
kein Internet um da nachzusehen?“
„Sabine, wir haben die Pest mitten in Wien, es gibt Tote und Erkrankte und
alles soll vertuscht werden!“
„Das wäre ja eine Katastrophe, aber ich habe bisher davon nichts gehört und
sitze doch einigermaßen mitten im Geschehen.“
„Es gab bereits drei Tote, die bereits beerdigt wurden, es waren alles
Feuerbestattungen und weitere fünf Erkrankte
liegen auf der Isolierstation der Uni-Klinik und werden mit Antibiotika
behandelt.“
„Und was steht auf den
Totenscheinen?“ fragte Sabine.
„Diphtherie, einfach Diphtherie. Ich
habe keine Ahnung, was sie den Angehörigen über die näheren Umstände gesagt
haben, ich finde es nur seltsam, dass alle drei Verstorbenen eine
Feuerbestattung bekamen! Das kann doch
keine Zufall sein!“
Sabine dachte kurz nach.
„Wenn das stimmt, dann ist das tatsächlich seltsam. Gibt es denn einen
Zusammenhang oder eine Verbindung zwischen den erkrankten Personen?“
„Ja, es sind ausschließlich Bauarbeiter und Techniker von der U-Bahn-Baustelle
am Stephansplatz, die in derselben Nacht Dienst hatten. Man hat heute Morgen die Arbeiten
vorübergehend, mindestens für ein einige Stunden, ausgesetzt und die Baustelle
gesperrt.“ Sagte Robert.
„Mit welcher Begründung?“
„Technische Probleme und Prüfung. Aber wenn sie Gerede vermeiden wollen,
müssen sie sie bis spätestens morgen früh wieder öffnen!“
„Robert, ich habe da einen Studienkollegen, der arbeitet im Gesundheitsamt.
Den werde ich anrufen, vielleicht weiß er irgendwas. Aber nicht jetzt, mitten
in der Nacht, morgen früh! Gute Nacht!“
„Das kannst Du dir sparen, sie mauern! Zieh Dich an, ich hole Dich ab und
wir schauen uns das an Ort und Stelle an der
Baustelle direkt an“.
„Bist Du verrückt? Da gibt es wohl Einiges, das dagegen spricht. Erstens
wird die Baustelle sicher bewacht sein, zweitens könnte es für uns ebenfalls
gefährlich sein, uns dort irgendwelchen Seuchen, es muss ja nicht gleich die
Pest sein, auszusetzen; und drittens riskiere ich meine Anstellung im Labor der
Uni-Klinik!“
„Also, wenn es doch die Pest sein
sollte, dann ist das alles völlig gleichgültig. Du wohnst keine hundert Meter
von der Baustelle entfernt, kannst sie sogar sehen, und du bist sicher bereits
infiziert! Wir steigen da einmal hinunter und nachher gehen wir in dein Labor
und du spritzt uns ein Gegengift!“
Sabine musste lachen, ja so stellte es sich der kleine Moritz vor!
„Sabine, bitte versuche doch einmal, über Deinen eigenen Schatten zu
springen, hast Du gar keine Eigeninitiative, keine Abenteuerlust?“
„Robert, Du übertreibst wieder einmal maßlos! Aber OK, ich werde mir das
mit dir ansehen, wie lange brauchst Du, bis Du hier bist?“
„Ich stehe vor deiner Haustüre, ziehe auf jeden Fall Gummistiefel an“,
sprach Robert und klickte sich weg.
Seufzend erhob sich Sabine, nicht ohne einen sehnsüchtigen Blick auf den Polster zu werfen und suchte ihre Jeans und ein T-Shirt mit Jacke zusammen, zog
auch die erwähnten Gummistiefel an.
Ihre Wohnung lag tatsächlich im Zentrum der City, keine 100 Meter vom Dom
entfernt. Nachdenklich blickte sie in
den Spiegel beim Stiegenabgang. Sollte tatsächlich aus der Tiefe der Baugrube etwas
so grauenhaftes wie die Pest entwichen sein
und einfach einige Menschen befallen haben?
Als sie vor das Haus trat, löste sich der Schatten Roberts aus dem Torbogen vom gegenüber liegenden Haus. Er war ebenfalls
mit einer Jacke mit Kapuze und Gummistiefeln, sowie dem für Robert unvermeidlichen
Fotoapparat bestückt.
Sie nickten sich stumm zu und Robert ging sofort in Richtung des schwach
beleuchteten Platzes vor dem Dom.
Es war gespenstig ruhig, niemand war zu sehen. Sabine begann bereits zu
bedauern, Robert nachgegeben zu haben. Aber irgendwie reizte das ihre Abenteuerlust
und ihre Neugierde doch.
Robert gab den Weg vor. Er drückte sich an die Hausmauern gegenüber des
Domes, um an seine Rückseite zu kommen. Dort war es dunkler als an der
Vorderseite und dann lief er, geduckt über den kleinen Platz und drückte sich
an die Mauer der Kirche.
Sabine war stehen geblieben und blickte sich suchend um. Es war niemand zu
sehen. Immerhin war es ja inzwischen fast drei Uhr morgens,
„Komm herüber“, rief Robert leise und winkte ihr zu.
Wie von Geisterhand gestoßen, lief nun auch Sabine geduckt zur Kirche
hinüber und drückte sich ebenfalls an die Mauer neben Robert.
Sie schlichen sich nun, Robert voran, langsam zur Vorderseite und der
Baugrube immer näher.
„Hörst Du auch was?“, murmelte Robert
Tatsächlich konnte Sabine ein Geräusch wahrnehmen, es war das schwere, mühsame Atmen eines Lebewesens,
das anscheinend mit dem Tode ringt.
„Es ist der Hauch des Todes!“, flüsterte Robert.
„Sei nicht so kindisch, das wird ein Wind sein“, sagte Sabine, doch es kam
auch ihr ein wenig unheimlich vor.
Sie hatten inzwischen die hölzerne Umrandung der Baugrube erreicht und
blickten hinunter. Von hier oben erschien sie sehr tief und eigentlich drohend,
musste Sabine zugeben.
Robert hatte sich in der
Zwischenzeit gebückt und war durch die Absperrung in den inneren
Kreis der Baustelle vorgedrungen.
Von einer Wache war nichts zu sehen. Nur die Baumaschinen, die am Grund der
Grube standen, waren mit Warnleuchten schwach beleuchtet, man konnte kaum ihre
Konturen sehen.
Ich muss verrückt sein, da
mitzumachen! Sabine schüttelte den Kopf über
sich selbst, tat es Robert jedoch gleich.
„Hier ist eine Leiter, komm und gib Acht, dass Du nicht abstürzt!“ Robert
war bereits die Leiter einige Sprossen abwärts geklettert.
Dieser dumpfe Ton des schweren Atems verstärkte sich. Es war auch ein
leises, gleichmäßiges Klopfen zu hören. `Wie
ein Herzschlag`, dachte Sabine nachdenklich, doch es war sicher nur eine
Pumpe, die vielleicht irgendwo Wasser abpumpte, beruhigte sie sich gleich selbst.
Sie kletterten nun schweigend abwärts, bis sie endlich am Grund der
Baugrube standen. Es erschien ihnen alles überwältigend, überdimensioniert.
Sabine war nun froh, Roberts Ratschlag gefolgt zu sein und Gummistiefel
anzogen zu haben, denn der Boden war feucht, mit Wasserlachen übersät und
rutschig.
„Merkst Du, dass die Luft hier schwer zu atmen ist und nach Verwesung
riecht?“ Robert hatte seine Stimme gesenkt, als wollte er niemand wecken.
„Naja, ja irgendwie schon, aber wir sind ja eigentlich unter dem Niveau der
Straße und da ist eben alles feucht“,
Sabine wiegte den Kopf hin und her.
Plötzlich nahmen sie ein seltsames Geräusch wahr. Es war als würde man eine
große Menge von Menschen essen und schmatzen hören, als würden tausend Füße in
eine Richtung laufen. Und da kamen sie, es mussten Hunderte sein. Es waren
große, fast schwarze Ratten, ihre Augen leuchteten in der Dunkelheit. Sie kamen
aus Erdlöchern, aus Spalten und hinter den Baumaschinen hervor. Es war, als
würden sie nur auf sie gewartet haben. Die spärlichen Lampen der Notbeleuchtung
machten, dass ihre Augen glühten.
Sabine und Robert ergriffen in ihrer Panik herumliegende Eisenstangen und
Holzlatten und schlugen auf die Tiere ein. Sabine sah entsetzt, dass sich eines
der
Tiere am Rücken von Robert festgekrallt hatte und schlug mit voll Wucht zu.
Sie hätte Robert fast zu Fall gebracht, doch das Biest ließ doch los und sprang
nach unten.
„Wir sollten schleunigst nach oben verschwinden“, rief Sabine. Doch die
Ratten hatten sich nun am Rande der Grube zurückgezogen und blockierten den Weg
zur einzigen Leiter, die aus der
Baugrube nach oben führte.
Sie hatten sich gegenüber mit dem Rücken zur Wand gestellt und hielten ihre
einzigen Waffen, die Eisenstangen und Holzlatten drohend erhoben in den Händen
hoch.
„Sie sind klug, sie beobachten uns und warten auf ihre Chance!“, flüsterte
Robert.
.......
Fortsetzung, Teil 2
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