Blutgier
von Joana Angelides
Er meidet die Stadt bei Tage. Vor allem das Licht, die vielen Menschen
und die Hektik sind für ihn unerträglich. In seinen dunklen Verstecken wartet
er die Dämmerung ab.
Ihm gehört die Stadt von Beginn der Dämmerung an bis zum Morgengrauen.
Er liebt es, aus seinem dunklen Verlies zu kommen, mit den Schatten der Nacht
zu verschmelzen und die Geräusche und das Raunen der Nacht in sich aufzunehmen,
sie zu analysieren.
Seit drei Jahrhunderten bewegt er sich zwischen den sich veränderten
Straßenzügen, hat gelernt sich den jeweiligen Bedingungen anzupassen. Im
Vergleich zu früher, kann man heute nicht mehr so viele Menschen in der
Dunkelheit der Nacht vorbei eilen sehen. Sie fahren heute in Autos, fahren an
ihm vorbei, ohne ihn zu sehen. Und wenn sie seiner ansichtig werden, beeilen
sie sich aus seinem Gesichtskreis zu kommen. Er ist ihnen unheimlich.
An diesem nebeligen Novembertag drückt er sich in eine Hausnische, um
nicht von den grellen Scheinwerfern gestreift zu werden. Er scheut das helle
Licht, es tut ihm in den Augen weh.
Sein Ziel ist der Dachboden des gegenüberliegenden kleinen Theaters.
Der Dachboden ist alt und baufällig. Es gibt da viele lockeren Backsteine und
Bretter. Diese kann man verschieben oder anheben und hat einen wunderbaren
Blick in die darunter liegende Garderobe des kleinen Theaters.
Er genießt es, die zarten kleinen Körper der Elevinen des Balletts zu
betrachten. Ihre kleinen Brüste mit den Augen zu verschlingen, wenn sie die
Trikots wechseln, kichernd sich gegenseitig aus den Balletschuhen helfen, nur
mit kleinen weißen Slips bekleidet sich in den Sesseln räkeln.
Seine Augen gleiten hungrig über die zarten Nacken, den schlanken
Hälsen, bis zu den Brustansätzen. Sie gleiten tiefer, streifen die flachen
Bauchdecken und verweilen an den kleinen Hügeln zwischen den Beinen und er
verliert sich in Träumen. Diese Träume nehmen konkrete Formen an, wenn sein
Blick an den schlanken und wohlgeformten Beinen nach abwärts und wieder
aufwärts gleitet. Die zarten Körper tanzen vor seinem geistigen Auge hin und
her.
Er weiß, wenn diese Geschöpfe in seine Welt eingetreten sind, ihr Blut
sich mit dem seinem vermischt hat, sie
schwerelos und losgelöst in seine Welt übergingen, dann erleben sie gemeinsam
eine ungeheure Auflösung. Die Tore der Hölle öffnen sich und die lodernden
Flammen verbrennen ihre Körper. Ihre Schreie, zwischen Lust und Schmerz, gehen
in den Schreien der anderen Kreaturen unter.
Die Körper erheben sich jedoch
immer wieder wie der Phönix aus der Asche und vermählen sich mit
der Dunkelheit der Nacht.
Trotzdem will er es immer wieder erleben.
Sein Atem entweicht stoßweise
und zischend zwischen seinen Zähnen.
Er hält es nicht mehr aus. Es muß heute sein.
Sein Blick bleibt wie so oft am Nacken einer kleinen, blonden Tänzerin
hängen. Dort ringeln sich ihre blonden
Haare, zum Leuchten gebracht durch die kleinen Lampen rund um den
Garderobespiegel. Sein Blick gleitet weiter zu dem zur Seite gebogenen Hals und
verweilt dort.
Ja genau dort wird er ansetzen.
Er schließt einen Moment die Augen, spürt die Weichheit ihrer Haut, das
Pulsieren der Schlagader, spürt, wie ihr Körper steif vor Angst wird, wie ihr
das Blut zu Kopf steigt und genau in diesem Augenblick wird er...
Es erfasst ihn fast so etwas wie ein Schwindel, als er vermeint die
Süße ihres Blutes zu spüren, wie es warm und stoßweise aus ihr entweicht.
Das helle Lachen aus der Garderobe unter ihm holt in aus seinen Träumen
wieder zurück.
Dieses Lachen verfolgt ihn nun schon viele Nächte und auch Tage, wenn
er in der Dunkelheit seines Versteckes versucht, diese quälenden Stunden
verstreichen zu lassen.
Die Mädchen necken sich, helfen sich beim Anziehen und stecken ihre
Haare auf.
Er schiebt vorsichtig und leise die Backsteine und die Bretter an
seinem Platz zurück und gleitet unhörbar das Treppenhaus hinab.
Mit dem Torbogen neben dem hinteren Ausgang des Theaters verschmilzt
seine dunkle, hohe Gestalt. Seine linke Hand hebt den schwarzen Umhang um auch
sein fahles Gesicht zu verdecken.
Da kamen sie, sie füllten die ganze Türe aus, lachend und plaudernd
quollen sie heraus und liefen alleine oder in Gruppen in verschiedenen
Richtungen davon.
Dieses Mädchen, das er für sich auserkoren hatte, kam als letzte durch die Türe, als er schon
aufgeben wollte.
Schnell drückt er sich wieder in der Nische zurück. Die Kleine geht
arglos an ihm vorbei, summt sogar ein Lied.
Er schwingt sich aus der Dunkelheit des Torbogens heraus und gleitet leise hinter ihr dahin.
Jetzt, genau jetzt schien es ihm günstig. Sie überquert eine kleine,
enge Nebenstraße, die Häuser darin sind bis auf zwei schmale Fenster, völlig
fensterlos. Aus der einzigen Türe, weiter oben in der Gasse dringt fahles
Licht.
Er streckt seine Hand aus, um sie an der Schulter zu fassen, da fällt
ein Mistkübel um. Eine Katze hatte darin Eßbares gesucht.
Der Lärm hallt durch die Nacht und schreckt einige Passanten auf.
Das Mädchen erschreckt, aus der offenen Türe kommt ein Mann heraus,
verjagt die Katze und richtet den Mistkübel wieder auf.
In diesem Moment hat das Mädchen die helle Hauptstraße erreicht und
läuft dem gerade in die Haltestelle einfahrenden Bus entgegen.
Er verschmilzt mit dem Baum hinter der Haltestelle. Er lehnt sich an
die abgewandte Seite des Stammes und ein
tiefes Stöhnen kommt aus seiner Brust.
Er hört gar nicht mehr, wie der Bus abfährt Seine Augen sind
geschlossen, seine dünnen Finger krümmen sich um den Umhang und er verschwindet
auf der Suche nach einem anderen Opfer in der Dunkelheit.
Aber er wird die kleine Tänzerin sicher nicht vergessen, das Theater
ist nach wie vor sein bevorzugtes Ziel.
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